Unter vbz2050 ist eine Website online, die noch bis zum 25. März 2020 dazu einlädt, die zukünftige Mobilität intensiv zu diskutieren. Parallel dazu finden sogenannte Walk-in-Veranstaltungen statt, in denen das Gespräch auch persönlich geführt werden kann. Was hat es damit auf sich? Ein Einblick.
«The future is now», proklamiert ein gern benützter Slogan, um mit viel Trommelwirbel Neuerungen anzukündigen. In Wirklichkeit ist die Behauptung, wonach die Zukunft jetzt sei, natürlich ein ziemlicher Unfug, denn jetzt ist die Gegenwart und die Zukunft – nach unseren Messgrössen – jeweils eine Sekunde später. Will man die Zukunft nach eigenen Vorstellungen gestalten, so erfordert dies in der Regel auch etwas mehr Zeit, als eben nur eine Sekunde. Im Falle der Zürcher Mobilität braucht es gar so seine zwanzig bis dreissig Jahre. Das ist der Grund, warum bei den VBZ das Team «Marktentwicklung» dieser Tage die Ärmel hochgekrempelt hat, um die ersten Schritte in Richtung des Jahres 2050 in Angriff zu nehmen.
Im Visier steht die Netzentwicklung 2040 beziehungsweise der Entwurf eines Zukunftsbilds für den ÖV 2050 an. Die Ziele der Netzentwicklungsstrategie sind es, auch in Zukunft genügend Platz für all unsere Fahrgäste zu bieten. Natürlich wollen wir weiterhin einen pünktlichen, schnellen ÖV, in welchem Sie möglichst ohne gross umzusteigen unterwegs sind. Wir müssen der Nachfrage gerecht werden und gleichzeitig wirtschaftlich sein. Dazu braucht es mehr, als den Ausbau bestehender Strecken und die Entlastung von Engpässen im Stadtverkehr: Auch der grundsätzliche Wandel in der Mobilität und die Veränderungen der Kundenbedürfnisse und -ansprüche müssen berücksichtigt werden. Wichtige Grundlage hierzu bildet der sogenannte kommunale Richtplan, welcher die Entwicklung und Verdichtung der Stadt prognostiziert.
«Wir haben gemerkt, dass es sich angesichts der grossen Vielfalt und Dynamik im Mobilitätssektor lohnt, dem Entscheidungsprozess mehr Spielraum zu geben.»
Vier Teams mit unterschiedlichen Stossrichtungen
Was den Wandel in der Mobilität angeht, so sieht die Ausgangslage zunächst ein bisschen vertrackt aus. Wer weiss schon, wie die Welt in zwanzig Jahren aussieht? Der Mobilitätsmarkt überschlägt sich mit Ankündigungen von technischen Neuerungen und futuristischen Experimenten, sowohl was die Verkehrsmittel als solches angeht, aber auch punkto Antriebssysteme und deren Treibstoffe. Es werden grundsätzlich neue Modelle der Mobilität lanciert; man nehme nur die ganzen Sharing-Services. Ja, der Lebensstil der Bevölkerung ändert sich langsam, aber stetig. Unweigerlich nehmen nach und nach neuzeitliche Errungenschaften wie Home-Office oder das Internet der Dinge Einfluss auf das Mobilitätsverhalten. Wollte man früher noch prioritär von A nach B transportiert werden, so genügt das in Zukunft nicht mehr. Nachhaltigkeit ein grosses Thema, ebenso die Möglichkeit, unterwegs zu arbeiten. Auch ein gewisser Komfort oder etwaige Unterhaltungsmöglichkeiten tummeln sich neu in der Waagschale. «Wir haben gemerkt, dass es sich angesichts der grossen Vielfalt und Dynamik im Mobilitätssektor lohnt, dem Entscheidungsprozess mehr Spielraum zu geben», erläutert Silvan Weber, Projektleiter in der Abteilung Marktentwicklung. Er und Abteilungsleiter Thomas Hablützel erzählen, wie es zum Mitwirkungsverfahren für die Bevölkerung kam.
Anfänglich wurde intensiv darüber diskutiert, wie der herausfordernden Ausgangslage Rechnung getragen werden könnte. «Früher hat man alle fünf Jahre ein Ingenieurbüro damit beauftragt, eine Studie zu erstellen. Jetzt aber öffneten wir den Fokus», erklärt Weber. Nämlich wie? Teamleiter Hablützel ergänzt: «Wir haben den Austausch mit dem Kanton Basel-Stadt gesucht, welcher für eine Tramnetzstudie verschiedene Teams gegeneinander antreten liess. Das hielten wir für einen spannenden Ansatz». Als Resultat kündigte sich ein Wechsel in der Methodik an: Per öffentlicher Ausschreibung werden Expertenteams aus dem Mobilitätsbereich gesucht, die in der Folge mit unterschiedlichen Stossrichtungen verschiedene Szenarien erarbeiten sollen. Es handelt sich dabei nicht nur um Verkehrsplaner und Verkehrsplanerinnen, sondern auch um Trendforscher, Soziologinnen und Stadtentwickler. «Wir wollen wissen, wie die Bedürfnisse heute aussehen», so Weber, «deshalb bringen wir ausgewiesene Experten und Expertinnen aus verschiedenen Disziplinen an einen Tisch – das macht es spannend».
Das Verfahren, mehrere Teams zu beauftragen, kennt man auch aus dem Hochbau- und Architekturbereich, jedoch – ergänzt Hablützel – handle es sich im vorliegenden Fall um eine Testplanung. Will heissen, es geht nicht darum, einen Sieger zu küren, sondern aus verschiedenen Stossrichtungen Szenarien zu entwickeln und einander ergänzende Erkenntnisse zu gewinnen. Letztlich sollen Antworten auf die Frage gefunden werden, wie die Lebensqualität der Stadt auch in Zukunft trotz Verdichtung aufrechterhalten werden kann.
Online mitdiskutieren
Die Reform besteht aber nicht nur in der Anzahl und Zusammensetzung der Teams, sondern zeigt sich auch in den Informationen, mit denen die Teams «gefüttert» werden. «Bei einer modernen Planung gehört es dazu, die Bevölkerung zu involvieren», so Hablützel. Bisher geschah dies aber erst zu einem eher späten Zeitpunkt, nämlich mit der Auflage des Fahrplans. Im Verlauf der vergangenen Jahre haben sich freilich die technischen wie auch kulturellen Möglichkeiten entwickelt, die es erlauben, einen breiten Bevölkerungskreis in eine Diskussion zu involvieren. «Jetzt hatten wir die Möglichkeit, die Leute schon von Anfang an miteinzubeziehen und nicht erst dann, wenn sie sich nur noch zu pfannenfertigen Lösungen äussern können.»
Und so nimmt die Netzentwicklung einen Anfang, der basisdemokratischer nicht sein könnte: Die Zürcher Bevölkerung ist dazu eingeladen, sowohl online wie auch im persönlichen Gespräch aktiv ihre Bedürfnisse, Wünsche und Ideen einzubringen. Unter vbz2050.ch kann bis zum 24. März eifrig diskutiert werden. Hier eine kleine Auswahl der Themen: «Der ÖV soll noch attraktiver werden. Was braucht es dazu?», «Sollen verschiedene Mobilitätsangebote verknüpft werden?» oder «Was brauchst du, um auf das Auto zu verzichten?»
Stadtrat Michael Baumer und die VBZ im Gespräch mit der Bevölkerung
Um noch näher am Puls der Bevölkerung zu sein, werden ausserdem an fünf Standorten (namentlich im Stadthaus, im Tram-Museum, in den Tramdepots Kalkbreite und Oerlikon sowie in der Saalsporthalle) während insgesamt zehn Daten sogenannte Walk-in-Veranstaltungen angeboten – also wie der Name sagt, eine Veranstaltung, bei der man ohne Anmeldung vorbeischauen kann. Ziel dieser Walk-ins ist das persönliche Gespräch zwischen allen, die in Zürich unterwegs sind, und verschiedenen Fachpersonen der Verkehrsbetriebe Zürich. Auch Stadtrat Michael Baumer wird an drei Daten vor Ort sein und in den direkten Dialog mit den Besucherinnen und Besuchern der Walk-ins einsteigen.
Dabei interessieren die VBZ in erster Linie konkrete Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen rund um den zukünftigen ÖV. Daneben informiert die dazugehörende Ausstellung über den kommunalen Richtplan, die bisherige Netzentwicklung und die bereits aufgegleisten zukünftigen Entwicklungen der Verkehrsbetriebe Zürich, wie die Mobilitätsplattform, das Flexnetz und die eBus-Strategie.
Wie geht es weiter?
Wenn dann schlussendlich zahlreiche Äusserungen, Inputs und Meinungen vorliegen, müssen diese gesichtet und sortiert werden, damit letztlich ein Resumée gezogen werden kann. Die Ergebnisse der Befragung fliessen in die Arbeit der vier externen Expertenteams ein, die im weiteren Verlauf des Jahres mit unterschiedlichen Stossrichtungen Zukunftsbilder für den ÖV 2050 entwerfen. Eine dieser Stossrichtungen sieht beispielsweise so aus, den Kunden kompromisslos ins Zentrum zu stellen. Dieses Team wird denn auch die Ergebnisse der Befragungen besonders eingehend prüfen. Begleitet werden die Teams von verschiedenen Gremien aus städtischen und kantonalen Dienstabteilungen und dem Zürcher Verkehrsverbund. Aufbauend auf den Resultaten der Zukunftsbilder erarbeitet ab 2021 ein Team die Netzentwicklungsstrategie 2040, welche anschliessend dem Stadtrat wie auch der Öffentlichkeit vorgestellt wird und in die ZVV-Strategie einfliessen soll.
Wird dieses Modell Schule machen? «Was das Projekt besonders macht, sind das Planungsverfahren mit vier Teams und das Mitwirkungsverfahren. Beides gab es in der Vergangenheit nicht in der ÖV-Planung», erklärt Hablützel und meint, es dürfte in der Zukunft ein Hauptmerkmal gross angelegter Projekte werden, dass sie nicht mehr im stillen Kämmerlein stattfinden. «Gleichzeitig bleibt die Kunst natürlich, sich trotz der vielen Mitbeteiligten nicht in Diskussionen zu verlieren. Wir sehen diesen Prozess als grosse Chance, um neue Wege zu testen.»
Unter diesen Links finden Sie Informationen und jeweils einen Film zum Mobilitätsmodell der VBZ sowie zum kommunalen Richtplan der Stadt Zürich:Mobilitätsmodell und Mobilität der ZukunftKommunaler Richtplan