Der Name ist Programm: Das Projekt «RegioFair» bietet rund hundert Bio-Kleinbauern aus der Zentralschweiz eine von Grossverteilern unabhängige Plattform. Abnehmer sind nebst Reformhäusern auch die VBZ-Genusslinie. Geschäftsführer Andi Lieberherr über gesunde Lebensmittel und den Faktor «Zeit».
«Das Wort ‹Lebensmittel› heisst ‹Mittel zum Leben›. Nicht Bauchfüller. Aber die Hälfte dessen, was wir so bezeichnen, hat mit ‹Lebensmitteln› nichts mehr zu tun mit». Andi Lieberherr bringt seine Worte gerne auf den Punkt. Der Geschäftsführer der RegioFair Agrovision Zentralschweiz AG, ist aber auch ein Mann der Tat. Nicht nur, weil er weiss, wie man Fleisch mit grünem Kopfsalat rot färbt. Aber erst mal von vorn:
Im Herzen der Schweiz, genauer gesagt im luzernischen Dörfchen Alberswil, liegt – idyllisch eingebettet in sanfte Hügel – der Erlebnis-Biohof «Burgrain». An diesem geschichtsträchtigen Ort (das Gelände hat den Reichtum der Patrizier «von Sonnenberg» ebenso gesehen wie Armut der Notleidenden im vormals hier ansässigen Armenhaus) laufen die Adern der Zentralschweizer Bio-Bauern-Gemeinschaft zusammen. Denn hier und im benachbarten Zell liegt der Dreh- und Angelpunkt für Weiterverarbeitung und Vermarktung von Fleisch, Milch, Getreide, Früchten und Gemüse zahlreicher Kleinproduzenten rund um den Vierwaldstätter- und Zugersee. Rund hundert Kleinbetriebe machen mit: «Luzern als der landwirtschaftsstärkste Kanton zählt 420‘000 Schweine», schmunzelt Lieberherr, «das sind 20‘000 mehr dieser Tiere, als der Kanton Einwohner zählt».
Wie die Verarbeitung funktioniert, kann auf dem modernen Hof (der Eingangsbereich mit den grossen Pflanzenkisten mutet beinahe so trendy an wie Gerolds Garten in Zürich) von Familien und Schulen besichtigt werden. Der «Burgrain» ist aber nicht nur Schau-Käserei («Schau» nicht «Show», betont Lieberherr), Holzofen-Bäckerei, Markt und Restaurant, sondern auf seinen 40 Hektaren Land auch Produktionsstätte von biologischen Lebensmitteln aller Art. Hier erfahren die Besucher im Bienenhaus und –museum alles über die so wichtigen Insekten. Gleich daneben tummeln sich Kühe und Wollschweine. Von den Letzteren aber nur zwei, denn auf der grossen Grünfläche verteilen sich ausserdem etliche Hühner und «da dürfen wir keine Schweine halten, wegen der Salmonellen-Gefahr».
Hauptsächlich ist «RegioFair» aber eine Marke. Wofür sie steht, verrät der Name. Regionale Produkte – ausschliesslich aus der Zentralschweiz – zu fairen Bedingungen. Hergestellt werden Lebensmittel, die der strengen Kontrolle des Labels «Bioknospe» Stand halten.
Das weltbeste «Eingeklemmte»
Andi Lieberherr, seit der Geburtsstunde des Unternehmens mit im Boot, bringt das Konzept auf einen einfachen Nenner: «Unser Ziel ist es, das weltbeste ‹Eingeklemmte› zu machen». Klingt profan? Keineswegs. Denn was so ein «Eingeklemmtes» vor allem braucht, um alle Konkurrenz hinter sich zu lassen, ist Zeit.
«Es geht nur noch um Gewinnmaximierung. Aber was schnell gehen muss und nichts kosten darf, da ist auch nichts drin.»
«Heutzutage wird das Fleisch beispielsweise mit Fett und Wasser aufgebläht. Warum? Weil es weder Zeit noch Geld kosten darf. Es geht nur noch um Gewinnmaximierung. Aber was schnell gehen muss und nichts kosten darf, da ist auch nichts drin. Ich bestimme über den Preis, was im Tier drin ist. Ein Teil der Philosophie ist daher, den Bauern einen fairen Preis zu zahlen, damit sie sich die Zeit nehmen dürfen, welche für eine gute Qualität nötig ist».
In herkömmlichen Betrieben dauert es fünf bis sechs Monate, bis ein Schwein geschlachtet wird. Die Wollschweine der «RegioFair»-Bauern – eine Kreuzung zwischen Wild- und Hausschwein und im Sinne von «ProSpecieRara» eine seltene Nutztierrasse – bekommen bis zu neun Monaten Zeit. Das und genügend Raum – Massentierhaltung ist tabu. Kuh, Schwein und Huhn geniessen hier Auslauf im Freien. Ist das Tier gesund, schlägt sich das auch im Fleisch nieder. Und eine gute Qualität kommt ohne Chemie aus. Herkömmliches Fleisch wird mit Nitritpökelsalz, also eigentlich mit Salpeter behandelt. Zum einen tötet das Bakterien ab, zum anderen gibt es dem Fleisch jene rote Farbe, ohne die es natürlicherweise bräunlich und somit eher etwas unappetitlich wirkt. «Im Cervelat, da haben Sie in der Regel Citrat oder Phosphat drin, um den Biss zu erhalten.» Solcherlei kommt dem Lieberherr nicht ins weltbeste Sandwich. Auch keine E-Nummern, versteht sich.
Rote Wurst dank grünem Kopfsalat
Trotzdem soll das gesunde Fleisch nicht nur geschmacklich, sondern auch optisch überzeugen. Also haben sich der findige Lieberherr und sein Team an eine Alternative aus Meersalz, Pfeffer und rotem Randenpulver gewagt. «Die ersten Versuche hat sogar der Hund abgelehnt», erinnert sich der Lebensmittelkünstler lachend. Er blieb dran – und gewann damit anno 2015 eine Sonderauszeichnung der «BioSuisse» für sein Trockenfleisch. «Auch die Experimente mit Gemüsepulver im Cervelat waren nicht sehr lecker». Nach rund vierzig Versuchen erzielt Lieberherr die rötliche Färbung heute mit grünem Kopfsalat. Wie das funktioniert? Er legt seinen Zeigefinger auf die Lippen, und wir erfahren das Geheimnis ebenso wie jenes der Appenzeller Kräutersulz – nämlich gar nicht. Nur soviel: Es sei eine Gratwanderung.
«Die ersten Versuche hat sogar der Hund abgelehnt.»
Vom Gras bis zum Weichkäse
Nebst der Scheibe Fleisch gehört ins perfekte «Eingeklemmte» natürlich auch ein anständiges Stück Käse. Für den gelernten Käsermeister Lieberherr beginnt die Qualität schon beim Gras: «Unsere Kühe bekommen kein Kraftfutter, sondern das, was sie auch draussen finden.» Hergestellt wird das Milcherzeugnis in der hauseigenen Käserei, als Rohmilch-Weichkäse. «In Deutschland sagt man an der Fachhochschule, wer Haus und Hof aufs Spiel will setzen, macht einen Rohmilch-Weichkäse.» Je mehr Wasser ein Käse drin hat, desto schneller geht die Reifung und desto heikler wird das bakteriologisch. Dass hier der Käse aber sehr schnell – binnen zwei Stunden – hergestellt wird und die Tiere bei bester Gesundheit sind, minimiert das Risiko aber extrem. Ausserdem stammt die Milch für diesen Käse jeweils von einer Herde und nicht von hundert verschiedenen Tieren. «Als wir mit unserer Idee beim Bundesamt für Gesundheit vorstellig wurden, meinten die zunächst ‹wenn ihr einen Skandal wollt, nur zu›. Letztes Jahr sind sie vorbeigekommen und sagten uns, wir sollen weitermachen.»
Wie ich esse, so fühle ich mich auch
Eingeklemmt werden diese Zutaten natürlich in gutem Brot – aus regionalem, bio-zertifiziertem Dinkel-Getreide. Gebacken wird nach alter Väter Art in einem schweren, traditionellen Holzbackofen. «Wenn man 100 Brotsorten braucht, ist wahrscheinlich keines sonderlich gut, sonst bräuchte man nicht so viele Sorten»: Lieberherr steckt Zeit und Aufwand lieber in eine Brotsorte, die dann aber auch gesund und richtig gut ist. «Wir backen erst drei Viertel des Brotes und einen Tag später die Kruste – so schmeckt das Brot noch besser.»
Der 54-jährige lebt seine Philosophie: «Was ich esse, so fühle ich mich auch. Wenn man sich so ansieht, was die Industrie heute in den Lebensmitteln verarbeitet… ich möchte das nicht auf dem Teller. Das ist noch nicht mal Hochmut – mein Körper verträgt sowas einfach nicht mehr.» Dabei kennt er die Industrie bestens, aus der Zeit, als das Toni-Areal noch eine Molkerei war. Dort hat er nämlich acht Jahre lang gearbeitet: «Ich habe die Mozzarella-Käserei aufgebaut.» Heute arbeitet er lieber ganzheitlich. Von der Schonung des Bodens über das Tierwohl bis hin zu einem Produkt, das handwerklich hergestellt wird. «Industrie ist kein Handwerk, das ist nur Technik.»
Nichts für Grossverteiler
Lieberherr ist ein Pionier wenn es um die Herstellung nachhaltiger Lebensmittel geht, auch wenn «die Landwirtschaftsbetriebe früher ja immer biologisch arbeiteten», wie er meint. Auch deshalb gibt es die Marke «RegioFair» ausschliesslich in Reformhäusern, Bioläden, bei Marktfahrern und in der Gastronomie – wie beispielsweise in der VBZ Genuss-Linie. Bei Grossverteilern ist «RegioFair nicht zu finden. «Die Entwicklungen werden immer von Pionieren gemacht. Dann gehen sie zu den Grossverteilern, und die geben es einem anderen, der’s macht – wir wollen den Bioläden ein Produkt bieten, mit dem sie sich differenzieren können.» Die Menge, die ein Grossverteiler braucht, kann der Hof ohnehin nicht bieten, ohne dass die Qualität wieder leidet. «RegioFair» will kein Diktat von oben: «Wir bestimmen den Preis, den die Bauern brauchen, um ein gutes Produkt herzustellen.» Diktieren will «RegioFair» auch den beteiligten Bauern nichts: «Wir spannen mit Bauern zusammen, die gut arbeiten, und dazu brauchen wir keinen Vertrag. Wenn sich Bauern nicht an unsere Philosophie halten möchten, hören wir auf. Es soll eine Win-Win-Situation bleiben, nur dann stimmt auch das Produkt. Wie zum Beispiel das Bergpoulet jenes Bauern, der seine Tiere auf 1000 Meter draussen am Berg hält, sie selber schlachtet und dann zum Verkauf zu ‹RegioFair› bringt.»
Bei den Früchten und dem Gemüse des Bio-Betriebs wird nur Saisonales angeboten. Dabei ist auch ProSpeciaRara ein Thema. Rund 50 verschiedene Tomatensorten werden bewirtschaftet, und im Obstbaumgarten finden sich 78 alte Obstsorten. Letztere sind dann vielleicht auch ein Thema bei Lieberherrs neuester Tüftelei: «Im Moment entwickeln wir ein Joghurt, das ohne Zucker auskommt und Früchte aus der Region enthält», verrät er. Wir bleiben gespannt.
Vom «Burgrain» in die Genusslinie
Unter den Dächern des «Burgrain», einst der Praxisbetrieb für die Willisauer Landwirtschaftsschule, befinden sich heute einerseits das Museum und der Landwirtschaftsbetrieb sowie die Produktionsstätten von «erlebnis agrovision». Die Tochtergesellschaft RegioFair Agrovision Zentralschweiz AG wurde 2009 als Intiative der Luzernischen Bio-Produzenten ins Leben gerufen, um konsequent nachhaltig arbeitenden landwirtschaftlichen Betrieben der Region eine Vermarktungsplattform anzubieten, die unabhängig von Grossverteilern bleibt. Zu den Kunden der «RegioFair» gehört auch das Cateringunternehmen Bugs & Spices, welches für das Angebot der VBZ Genuss-Linie verantwortlich ist. Mehr zum Angebot der VBZ Genuss-Linie erfahren Sie unter genusslinie.ch