An der Medienkonferenz vom 6. Dezember 2022 haben die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) über eine weitere bevorstehende Reduktion des Bus- und Tramangebots ab 9. Januar 2023 informiert. Der Grund dafür sind weiterhin erhöhte Absenzenzahlen. Ein Interview mit Direktor Dr. Marco Lüthi darüber, wie es weitergehen soll.
Herr Lüthi, Sie mussten heute eine neuerliche Angebotsreduktion bei Tram und Bus ankündigen. Wie geht es Ihnen?
Der Umstand, dass wir unseren Grundauftrag aktuell nicht voll erfüllen können, ist sehr schwierig. Es ist mir sehr wichtig, dass wir als Arbeitgeberin attraktiv sind und unseren Kundinnen und Kunden einen zuverlässigen, sicheren und qualitativ hochstehenden Transport bieten können. Das sind schon seit meinem Beginn bei den VBZ zentrale Themen für mich. Die aktuelle Situation und in der Folge davon die Angebotsreduktion machen mich betroffen.
Die Reduktion begründet sich mit Absenzen des Personals. Wie kommt es dazu?
Dieser Frage gehen wir aktuell vertieft nach, damit es nicht bei der Symptombekämpfung bleibt. Bereits im Sommer haben wir eine interne Taskforce gegründet, die sich umfassend mit verschiedenen Fragestellungen beschäftigt. Zudem laufen bereits viele Massnahmen, um die Rahmenbedingungen im Fahrdienst zu verbessern. Diese bedingen jedoch Zeit. Ich bin aber überzeugt, dass es nachhaltige Verbesserungen geben wird, auch dank dem Austausch mit den Sozialpartnern.
Grundsätzlich handelt sich aber um ein Phänomen, das viele andere Transportunternehmen ebenso trifft. Es ist eine schwierige Zeit, und das Thema «Arbeitnehmermarkt» wird uns noch länger beschäftigen. Auch über die Branche hinaus sind sowohl ein Arbeitskräftemangel als auch das Problem erhöhter Absenzen zu beobachten. Im ÖV sind die Folgen bei unseren Fahrgästen unmittelbar sichtbar. Ist kein Trampilot im Cockpit, gibt es auch keine Fahrt.
Haben die VBZ vielleicht schlicht zu wenig Personal?
Wir haben einen ganz leichten Unterbestand, der sich jedoch im Durchschnitt der letzten Jahre bewegt. Trotzdem wollen wir weitere Mitarbeitende anwerben, um die Ausfälle – auch jene durch Pensionierungen – zu kompensieren: Aktuell läuft eine Kampagne zur Rekrutierung von zusätzlichem Fahrpersonal, vor allem von Trampilotinnen und -piloten. Weitere Rekrutierungskampagnen für den Fahrdienst sind für 2023 vorgesehen. Prioritär wollen wir aber verstehen, wie es zu diesen deutlich erhöhten Krankheitsabsenzen kommt und entsprechende Massnahmen definieren.
Kann es sein, dass die Hürden, Trampilot*in zu werden, zu hoch sind?
Wir haben im 2022 bereits rund 60 Trampilot*innen rekrutieren können. Trotzdem analysieren wir weiter, wie wir noch mehr Personal einstellen können. Natürlich bestehen gewisse Anforderungen an diesen verantwortungsvollen Job. Insbesondere im Bereich der Sicherheit können und wollen wir keine Abstriche machen.
Nun kommt es vorerst zu weiteren Ausfällen… Was tun Sie dagegen?
Die Angebotskürzung ist gewissermassen das Aspirin in dieser Situation. Für eine langfristige Lösung ist es aber auch mit der Rekrutierung neuer Mitarbeitenden noch nicht getan. Wie bereits angedeutet, arbeiten wir mit Hochdruck daran und haben den Anspruch, die Arbeitsbedingungen für unsere Mitarbeitenden weiter zu verbessern, um eine attraktive Arbeitgeberin zu sein. Wir sind der Meinung, dass dies ein Element ist, um die Absenzen zu reduzieren. Weitere Verbesserungen gibt es beispielsweise beim individuellen Dienstplan – die langen Dienste wurden seit 2013 bereits massiv gekürzt. Ausserdem ist ein Pilotprojekt vorgesehen, das den Fahrdienst auch in Teilzeitarbeit ermöglichen soll. Hier laufen Gespräche mit verschiedenen Stellen. Im Programm «Avanti» beschäftigt sich der Unternehmensbereich Betrieb mit sehr konkreten Verbesserungen für die Arbeitsbedingungen der Fahrdienstmitarbeitenden, die ab dem diesjährigen Fahrplanwechsel erstmals greifen werden. Auch die Entwicklung von Führungskräften ist ein Thema. Um unsere Ziele zu erreichen, ist eine enge Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern wichtig, damit wir gemeinsam Vorschläge und Ideen zur Verbesserung vornehmen können. Wir stehen obendrein im Austausch mit anderen Transportunternehmen, die ähnliche Herausforderungen zu bewältigen haben.
Sie wollen also die Jobattraktivität erhöhen. Glauben Sie, die Leute fehlen, weil sie unzufrieden sind?
Nein, der Punkt ist: Heute besteht eine andere Situation als noch vor einigen Jahren. Wir leiden an einem Arbeitskräftemangel, die Pensionierungswelle akzentuiert die Situation zudem. Das betrifft nicht nur den Fahrdienst, sondern das gesamte Unternehmen. Wir sind mehr denn je gefordert, eine attraktive Arbeitgeberin zu sein. Unter den Fahrdienstmitarbeitenden findet auch der Stress im Verkehr immer wieder Erwähnung. Das beschäftigt mich.
Sie glauben, ein Faktor könnte der Stress sein?
Es bestehen durchaus anspruchsvolle Anforderungen an den Beruf. In Zürich haben wir einen überaus hektischen Stadtverkehr, der ein hohes Mass an Konzentration erfordert. Zudem haben die Mikromobilität und der Veloverkehr zugenommen, aber auch die Unaufmerksamkeit im Strassenverkehr. Dazu kommen weitere Einflüsse: Baustellen, Grossanlässe, Kundgebungen sowie unterschiedliche Ansprüche unter Verkehrsteilnehmenden fordern sowohl unsere Kund*innen, als auch unser Personal. Trotzdem sind wir als VBZ diesbezüglich nur sehr eingeschränkt handlungsfähig. Über die gesamte Gesellschaft betrachtet steigt leider auch das Potenzial aggressiven Verhaltens.
Was können die VBZ diesbezüglich tun?
Unsere volle Energie stecken wir in die Verbesserung der Arbeitsvoraussetzungen für unsere Mitarbeitenden. Dazu gehört auch, die verschiedenen Partner in der Stadt für unsere Anliegen zu sensibilisieren, dahingehend etwa, dass wir Eigentrassen für Tram und Bus benötigen, um sicher und störungsfrei durch die Stadt zu kommen. Im Rahmen der Netzentwicklung werden wir auch prüfen, wo wir das Netz punktuell ergänzen können, um mehr Umfahrungsmöglichkeiten im Ereignisfall zu haben. Selbst kleinere Massnahmen da und dort können viel bewirken: Ein weiteres Beispiel betrifft etwa die vorderste Türe beim Bus. Steigen die Fahrgäste dort ein und aus, entsteht Durchzug, welcher insbesondere in der kalten Jahreszeit störend ist. Die Hinweise vom Personal haben wir aufgenommen, ein komplettes Sperren der Tür ist jedoch aus Kundensicht nicht möglich. Wir appellieren daher mit einer Kampagne an die Fahrgäste, wo möglich freiwillig Rücksicht zu nehmen und hinten ein- und auszusteigen. Die Erfahrungen anderer Verkehrsunternehmen dazu stimmen uns positiv.
Zurück zur bevorstehenden Angebotsreduktion. Die VBZ-Fahrgäste sind sich einen zuverlässigen ÖV gewohnt. Müssen sie in der kommenden Zeit damit rechnen, dass Fahrzeuge zu spät kommen oder Anschlüsse verpasst werden?
Die Umsetzung wird so geplant, dass die Gesamtauswirkungen für unsere Kund*innen möglichst gering sind. Deshalb bevorzugen wir geplante Ausdünnungen – so bleibt die Fahrt für unsere Fahrgäste kalkulierbar. Die getroffenen Massnahmen sind unangenehm, sie treffen unsere Kund*innen. Wir möchten, dass unsere Fahrgäste wissen, was auf sie zukommt – und dass wir alles daransetzen, Ausfälle wegen Personalmangel zu vermeiden.
Demgegenüber können wir nach wie vor nicht verhindern, dass ungeplante Ereignisse wie Störungen, Verkehrsüberlastungen, Unfälle, Anlässe und Kundgebungen ebenfalls Einfluss auf das Angebot nehmen und dieses, je nach Situation, noch stärker beeinträchtigen.
Wann soll sich die Situation normalisieren, und was braucht es dazu?
Wir sind zuversichtlich, dass sich die Situation nach Abflachen der Grippewelle allmählich wieder beruhigen dürfte. Vorgesehen ist, dass ab Frühling wieder in den Normalzustand zurückgekehrt werden kann. Die Herausforderung besteht darin, dass die Dienstplanung eine Vorlaufzeit von mehr als zwei Monaten erfordert. Wir müssten jetzt antizipieren, wie sich die Grippewelle über die nächsten Monate entwickeln und wie viele Mitarbeitende krank sein werden. Das ist natürlich schwierig. Man darf nicht vergessen, dass wir auch neues Personal erst ausbilden müssen – das braucht seine Zeit.
Welches sind Ihre Lichtblicke in dieser herausfordernden Zeit und was möchten Sie den Fahrgästen und Mitarbeitenden mitgeben?
Ich habe grosse Hochachtung vor allen Mitarbeitenden der VBZ, die sich mit grossem Engagement und Herzblut tagtäglich fast rund um die Uhr für unsere Stadt einsetzen. Ihnen will ich für das grosse Engagement danken. Es braucht uns alle – jetzt erst recht.
Auch haben wir viele treue Fahrgäste, die Wertschätzung für die VBZ ist gross – dafür bin ich ebenso dankbar. Und natürlich läuft auch ganz viel Positives: Die Umsetzung der Elektromobilität zum Beispiel oder die Ankunft der Flexitys, unsere Infrastrukturprojekte – wir sind an vielen spannende Themen dran, und es macht Freude, die VBZ für die Zukunft rüsten zu können. Ein zentrales Thema ist die Unternehmensstrategie mit verschiedenen Schwerpunktthemen, die wir aktuell ausarbeiten. Wir wollen die Mobilitätswende vorantreiben und zu einer attraktiven Stadt beitragen. Auf die gemeinsame Umsetzung freue ich mich.