Ein schreibender Filmemacher

Stefan Györke ist Oberarzt für Notfallmedizin am Universitätsspital Zürich und seit zehn Jahren publizierter Autor. Mit «Tizianas Rosen» erschien dieses Jahr sein erstes Werk mit Krimi-Einflüssen, welches er im Rahmen von «Zürich liest» im Krimi-Tram vorstellen wird. Warum seine Bücher eher Filmskripts ähneln und wie sich Arzt- und Autorberuf unterscheiden, hat er uns im Interview verraten.

Stefan, wie bist du zum Schreiben gekommen?

Ich habe als Jugendlicher wenig mit Literatur am Hut gehabt. 1995, als ich 15 Jahre alt war, feierte die Welt 100 Jahre Kinofilm mit vielen Veranstaltungen und Retrospektiven. Dort wurden dann auch die alten Meisterfilmemacher wie Hitchcock, Fellini und Buñuel geehrt und so hat es mir den Ärmel für Film reingezogen. In meinen eigenen Gehversuchen im Film habe ich gelernt, dass das Wichtigste ein Drehbuch ist. Daraus hat sich meine Passion fürs Schreiben entwickelt. Ich versuche bis heute, ein «schreibender Filmemacher» zu sein, indem ich viele filmische Elemente in meinen Werken unterbringe.

Kannst du dir auch vorstellen, dass eines deiner Bücher verfilmt werden könnte?

Da sie so filmisch angelegt sind, wäre das einfach umsetzbar. Dafür muss sich so ein Text aber sehr gut verkaufen. Das ist natürlich schwierig und auch zum Teil vom Glück abhängig. Ich würde es aber sehr interessant finden. Wie gesagt, ich versuche, so zu schreiben, dass man sich schon beim Lesen wie ein Kinozuschauer fühlt.

Ich finde die Sachen, die im Spital passieren, meistens nicht besonders erzählenswert.

Stefan Györke, Autor und Notfallmediziner
Du bist Arzt und Autor – hat diese doppelte Berufung Einfluss auf deine geschriebenen Werke gehabt?

Es sind zwei völlig verschiedene Felder. Von der Schreibdisziplin her gibt es aber ein Element, welches ich vom Arzt zum Autor übernommen habe. Nachdem die Arbeit als Arzt erledigt ist, muss man aufschreiben, was man gemacht oder beobachtet hat. Das nennt sich Verlaufseintrag. Wenn ich am Abend mal Zeit habe, schreibe ich auch so eine Art Verlaufseintrag aus Autorensicht, mit Ideen, Personen, Konflikten, Konstellationen, Sätzen oder sprachlichen Wendungen. Das nimmt mir die Belastung und schafft eine gewisse Routine. Das Schreiben ist etwas sehr Offenes, ich lasse mich durch Figuren und Situationen leiten. In der Medizin hingegen versucht man, den Weg des Patienten zu lenken und möglichst schnell auf Diagnose und Therapie hinzuarbeiten. Man weiss also schon früh im Prozess, wohin die Reise geht. Ich finde auch die Sachen, die im Spital passieren, meistens nicht besonders erzählenswert.

Ergänzen die beiden Berufe sich vielleicht genau wegen dieser Unterschiede gut?

Ich denke schon. Ich sage manchmal als Scherz: «Ich schreibe, weil mit irgendwas muss man ja sein Geld verdienen.» Aber es ist natürlich genau umgekehrt. Und es ist nicht nur das Geld, sondern auch der Beitrag an die Gesellschaft. Jedes Mal, wenn ich einen Tag im Spital gearbeitet habe, weiss ich, ich habe etwas gemacht, was wirklich nötig war. Das Schreiben hingegen ist für mich persönlich sinnvoll und wichtig, aber ich bilde mir nicht ein, dass jemand darauf gewartet hat (lacht).

«Tizianas Rosen» ist ein Krimi, der mit Zeitsprüngen und unterschiedlichen Darstellungen der Geschehnisse spielt. War diese Struktur von Anfang an dein Plan?

Das hat sich so ergeben. Das Buch besteht aus einem Verhörteil und einem erzählten Teil. Ursprünglich waren beide inhaltlich komplett deckungsgleich. Über die Jahre, in denen ich die Geschichte geschrieben habe, gab es etwa vier oder fünf Versionen und die beiden Perspektiven entfernten sich immer weiter voneinander. Ich fand im Schreibprozess spannend, dass da eine gewisse Diskrepanz vorliegt und man beim Lesen merkt, dass da etwas nicht stimmt, ohne dass es einem auf die Nase gebunden wird.

Das ist dein erster Krimi. Gab es dadurch grosse Unterschiede im Schreibprozess zu deinen vorigen Werken?

Es ist kein «klassischer» Krimi, eher ein Liebesroman, der auf der Basis eines Krimis aufbaut. Natürlich hat das Buch die Elemente des Verhörs, der Polizeiuntersuchung und des Mordes, aber danach spielt es eigentlich mit dem Genre. Trotzdem hatte ich den Anspruch, eine krimiwürdige Pointe zu schreiben und habe darauf geachtet, dass alles zeitlich und logisch schlüssig ist. Dass der Plot einen Dreh- und Angelpunkt hat, war etwas Neues für mich. In den – ich sage mal «Beziehungsgeschichten» –, die ich davor geschrieben hatte, konnte ich das ein wenig lockerer nehmen. Hier muss ich wirklich am Ball bleiben, damit alles am Schluss aufgeht. Das ist mir nicht leicht gefallen.

Stefan Györkes neuster Roman «Tizianas Rosen» spielt in der Nähe des Zürcher Kunsthauses.
Das Setting ist Zürich, das Buch wird von einem Schweizer Verlag herausgegeben, trotzdem schreibst du «Straßenbahn», statt «Tram» und verwendest das scharfe S – ist das eine absichtliche Entscheidung gewesen?

Ich finde eigentlich einen sprachlichen Lokalanstrich ganz reizvoll. Schlussendlich war es eine redaktionelle Entscheidung des Verlags, der in den literarischen Titeln einen Schriftdeutsch-Standard anwendet, wofür es sicher auch gute Argumente gibt.  

Die Geschichte von Tiziana, ihren Eltern und Ulrich hat viel Italienbezug und im Buch wird oft Italienisch gesprochen. Liegt das nur daran, dass die Mafia aus Italien kommt, oder hast du einen persönlichen Bezug zu Italien?

Die italienische Mafia lag natürlich etwas auf der Hand, obwohl es auch andere Optionen gegeben hätte. Aber Tiziana ist einfach von Anfang an eine Italienerin gewesen und sie ist die Protagonistin. Ihr Charakter, ihre Leidensgeschichte ist die Substanz des Buches und die basiert einfach auf diesem sizilianischen Background. Ich habe selbst eine Zeit im Tessin gearbeitet und dort Italienisch gelernt, meine Freundin ist Italienerin, also habe ich schon einen Bezug zu Italien. Ich weiss also mehr oder weniger, wovon ich rede. Aber letztendlich ist die Entscheidung einfach gefallen: Tiziana ist eine in der Schweiz aufgewachsene, aus Sizilien stammende Frau und das ist wichtig für ihren Hintergrund.

Hast du die Idee mit dem «Mafia-Mord» mit den Rosen im Mund gehabt und von dort aus rückwärts gearbeitet oder hat sich das im Verlauf des Schreibens so ergeben?

Die Idee basiert auf einem Zeitungsausschnitt einer wahren Begebenheit. Eine Sekretärin hat ihren Chef genau so mit dem Strauss ermordet, welchen er ihr als Abschiedsgeschenk gegeben hatte. Sie hatte jahrelang für ihn gearbeitet und ihn insgeheim geliebt, wurde von ihm aber sehr schäbig behandelt. Ich habe deswegen versucht, zu rekonstruieren, wie das jemand hinkriegt. Aber grundsätzlich ist das so eine unerhörte Tat. Und es soll eine Frau gewesen sein? Und wie soll sie das getan haben? Es ist so aufgeladen mit Fragen, dass sich daraus von allein ergeben hat, dass andere Erklärungen gesucht werden oder auf der Hand liegen, und diese Erklärungen spielen dann auch – ohne zu viel zu verraten – eine wichtige Rolle.

Nun liest du bald im Tram aus deinem Buch vor. Hast du dir eine bestimmte Stelle überlegt, die sich für das Setting besonders eignet?

Ich habe in Bibliotheken und auf kleinen Bühnen schon ein wenig aus dem Buch vorgelesen und finde, am besten eignet es sich, einmal quer durch den Roman durchzugehen. Einzelne Happen, die den Background von Tiziana erläutern, ihre Beziehung zu ihrem Chef Ulrich, welche dann verhängnisvoll wird, und das Verhör. Die Zuhörenden sollen wissen, wohin man in diesem Buch gerät. Zwischendurch werde ich dann statt vorzulesen den Kontext frei erzählen oder auf Fragen eingehen.

Jedes meiner Bücher ist kürzer als das vorherige.

Stefan Györke, Autor und Notfallmediziner
Dein erstes Buch ist vor zehn Jahren erschienen. Wie hat sich dein Schreibverhalten in dieser Dekade verändert?

Es wurde auf jeden Fall knapper. Das sieht man auch an der Seitenzahl: Jedes meiner Bücher ist kürzer als das vorherige. Tizianas Rosen ist jetzt das Kürzeste und lässt sich auch ziemlich bündig lesen. Man merkt einfach mit der Zeit, dass weniger mehr ist. «Reduce to the max.» Für Prosa ist das gut, es ist immer noch genug ausführlich. Es ist ja nicht wie in einem Gedicht eine gebundene Sprache, wo man versucht, etwas auf einen Punkt zu bringen. Man hat einen gewissen Plauder-Ton und ich glaube, ich habe gelernt, mich da nicht zu sehr zu verlieren. Aber ich finde es immer noch interessant, zwischendurch gewisse Abschweifungen zu haben, davon lebt so ein Text auch. Man sollte es jedoch nicht übertreiben, das ist im Wesentlichen, was ich in dieser Zeit gelernt habe.

Nach dem Blick in die vergangenen zehn Jahre der Blick in die Zukunft: Arbeitest du aktuell schon an deinem nächsten Buch?

Im Moment gibt es zwei Projekte, welche mich schon sehr lange begleiten. Beide Grundideen habe ich eigentlich schon fast seit zehn Jahren. Die wetteifern ein wenig miteinander darum, mit welcher ich weitermache. Ich denke täglich, dass ich heute die Entscheidung fälle, aber bisher war es noch nicht so weit. Deswegen beschäftige ich mich mit beiden ein wenig aus der Distanz. Die eine ist schliesslich doch ein Spitalroman, welcher sich magisch-realistisch mit der Geschichte des Universitätsspitals beschäftigt. Die andere dreht sich um einen alkoholabhängigen Tennisspieler, also zwei sehr verschiedene Geschichten. Mal schauen. Es gibt auf jeden Fall Entwürfe und ich werde weiterschreiben.

Krimi-Tram 

Vom 21. bis 26. Oktober findet das Buchfestival «Zürich liest» statt. Am 26. Oktober lesen im Krimi-Tram Stefan Györke und weitere Krimi-Autor*innen aus ihren Büchern vor. Tickets können hier reserviert werden.

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