«Züri schlaflos» beleuchtet Zürcher Bars, Clubs, Kulturhäuser, Restaurants und andere urbane Schauplätze auf eher ungewöhnliche Art und Weise. Die stets leicht neurotischen Stadtgeschichten stammen von den Journalisten und Autoren Philippe Amrein und Thomas Wyss. Diesmal geht es ums Bohemia.
Es gab mal eine Phase in meinem Leben – und ich denke, eine solche Phase macht jede und jeder durch (meist passiert es, wenn die Jugend nicht mehr in voller Blütenpracht steht, die Bereitschaft, als erwachsen zu gelten, aber noch nicht vorhanden ist) –, da wollte ich tun und lassen, was ein Bohemien tut und lässt: Ich wollte schlafen, wenn andere arbeiten, wollte verkannte Folksongs schreiben und alle Bücher der Beat Generation lesen und in einer Nacht 30 verschiedene Mädchen küssen und in einer anderen 30 verschiedene Whiskeys trinken, wollte nie genug Geld haben und in fremden Badewannen baden und, sollte ich bei einer meiner unbekümmerten Aktionen zufällig ums Leben kommen, unbedingt auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise beerdigt werden, am liebsten direkt neben Mr. Mojo Risin’.
Träume enden bekanntlich oft als Schäume, so war das auch bei mir. Doch es geht hier eigentlich um etwas anderes. Nämlich um die Tatsache, dass ich in dieser missratenen Bohemien-Phase nicht ein einziges Mal im Bohemia war! Peinlich, ich weiss. Das Problem ist: Ich habe dieses Lokal damals gar nicht gekannt. Also auch nicht jene Phase in den späten Neunzigerjahren, als man in den ehemaligen Räumlichkeiten einer Metzgerei am Kreuzplatz Bier in gefrosteten Gläsern (dank des grossen alten Kühlraums im Keller) ordern konnte, wie gut informierte Freunde berichten.
Inzwischen kenne ich das Bohemia, mehr noch: Seitdem im Jahr 2011 das eher burschikose Interieur entfernt und aus dem Bohemia eine Brasserie nach amerikanischem (!) Vorbild wurde, gelte ich hier als Habitué. Seltener am Samstag und Sonntag, weil dann die «Brunchies» die stilvolle Gaststätte in Beschlag nehmen (das sind Menschen, die unbedingt Omelettes und Bagels und Lachs und Fruchtsalat und solches Zeugs frühstücken wollen, am liebsten bis 16 Uhr, und die gehört haben, dass der Bohemia-Brunch «legendär» sei). Nein, ich bevorzuge die Sonntagabende, wenn tout Züri den «Tatort» oder einen Heimatfilm glotzt und es hier richtig gemütlich ist. Dann mach ich einen auf Dandy (quasi das Gegenkonzept zum Bohemien) und geniesse, einen unblutigen Krimi lesend, mein Tatar, mein Entrecôte vom Holzfeuergrill und meine Flasche Malbec, alles aus Argentinien und somit alles von da, wo das Gute schlechthin herkommt.
Ich würde mal behaupten, erhabener kann man eine alte Woche nicht abschliessen – und eine neue nicht beginnen.
Restaurant Bohemia am Kreuzplatz
Klosbachstrasse 2
8032 Zürich
Öffnungszeiten
Mo – Mi: 06:45 – 24:00
Do – Fr: 06:45 – 01:00
Sa: 09:00 – 01:00
So: 09:00 – 24:00
Weekend Brunch gibt’s immer am Wochenende zwischen 9:00 und 16:00 Uhr.
Zur Website des Bohemia
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