Drama in Blau (2)

Der Zürisee, die blaue Schnecke oder das Oktoberfest: Zürich ist zweifellos eine durch und durch blaue Stadt. Wobei sich natürlich die Frage stellt – welches ist denn das wichtigste aller Züri-Blaus?

Was bisher geschah: Zwei unserer Redaktionsmitglieder gehen der Frage nach, welches das wichtigste Blau von Zürich ist. Weder Strassenschilder (Wyss: «Diese Idee war ja auch ein Schildbürgerstreich») noch der Fussball (Klinger: «Einem Ball hinterherzurennen hat noch nie weiter als bis zum Spielfeldrand gebracht») konnten die Frage bisher klären.

Klinger: Wie wärs mit einem Abstecher in die Kultur?

Wyss (begeistert): Yeah, ich sag nur: Slauer Baal!

Klinger (verwirrt): Bitte?

Wyss: Das ist ein dadaistisches Wortspiel, eine Abwandlung von «Blauer Saal» … und der befand sich an der Limmatstrasse 264 auf dem Löwenbräu-Areal, das war zwischen etwa 2001 und 2004 eine der tollsten Independent-Kultur-Location der Stadt und darum ganz sicher ein sehr wichtiges Blau … beziehungsweise: Slau.

Klinger: Jäso … ich dachte eigentlich eher an die grosse Populärkultur. Film, Literatur, Kunst, Musik.

Wyss (prahlerisch): Also Streifen wie «The Big Blue», Romane wie «Der blaue Siphon» des Fernweh-Zürchers Urs Widmer oder Songs wie «Blue Hotel»?

Klinger (schmunzelnd): Diese Chris-Isaak-Schnulze? Never! Wenn wir schon in den 80ern fischen wollen, dann nicht in seichtem Gewässer, sondern in einer fulminanten deutschen Welle – zum Beispiel «Blaue Augen» von Ideal … Gibt es übrigens als Cover mit 180 bpm auch in einer flotten Geschwindigkeit…

Wyss (nun richtig herausgefordert): Papperlapapp! Und was, Madame, ist mit dem Paolo-Conte-Heuler «Azzurro» in der Version von Adriano Celentano? Das ist eine H-Y-M-N-E! Die hörte man 2010, nach dem Sieg von Italien im WM-Final gegen Frankreich, an der Langstrasse pausenlos einen ganzen Sommer lang!

Klinger (selbstbewusst): Gut Monsieur, dann wechseln wir doch von deinem zu meinem Spezialgebiet. Also zum Beispiel zu Chagalls Fenster in der Blaumün… äh, Fraumünsterkirche. Oder zu den Bildern von Picassos «Blauer Periode», die anlässlich der grossen Ausstellung 2010 im Zürcher Kunsthaus zu sehen waren. Als gelernte Maltherapeutin …

Wyss (überrascht und plötzlich sehr interessiert): Echt? Du bist Maltherapeutin? Das trifft sich ja wunderbar, ich wüsste nämlich schon lange gern, wieso das Grün in den Operationssälen beruhigend wirken soll. Und warum Blau als Farbe der Treue gilt.

Klinger (sarkastisch): Wahrscheinlich, weil der Treueschwur die Sterne vom nachtblauen Himmel verspricht. Und sein blaues Wunder erlebt, wer ihn bricht.

Wyss (energisch): Ich will keine esoterische Erklärung, ich will eine wissenschaftlich wasserdicht…

Klinger (kalauernd): Wahrscheinlich auch noch wasserdicht im schönsten Züriseeblau … jedenfalls, da wir schon beim Thema «Szenen einer Ehe» sind: Wusstest du, dass es im Niederdorf ein «Haus zur blauen Schnecke» gibt?

Wyss (stirnrunzelnd): Was bitte soll die blaue Schnecke mit der Ehe zu tun haben?

Klinger (kichert): Weil der Herr Gemahl, der des Nächtens angeheitert durch die Wohnungstür stürchelt, von seiner Angetrauten zwangsläufig zur besagten blauen Schnecke gemacht wird.

Wyss: Nette Theorie, faktisch aber war die blaue Schnecke ehedem Treffpunkt der Schildner zum Schneggen. Die Elite von Zürich. Nur die ganz wichtigen Leute hatten Zutritt.

Die Residenz der Gesellschaft der Schildner zum Schneggen. (Bild: Natascha Klinger)

Klinger: Das Wichtige ist nicht die Elite, sondern die Basis. Maslow, kennsch? Brot für alle, nicht nur für die hohen Brüder! Womit wir bei der Mühle beim Tiefenbrunnen wären, da wo heute das Restaurant «Zur Blauen Ente» steht. Ernährungstechnisch würde ich eine Ente der Schnecke allemal vorziehen, egal in welcher Farbe.

Wyss: Noch nahrhafter ist Bier. Vor der Mühle stand dort, im 19. Jahrhundert, eine Brauerei. Für manch einen Malzlieber bedeutet Blau-Weiss heutzutage ja den alljährlichen Bierhimmel, nämlich am Oktoberfest.

Klinger: Frieden, Harmonie und Zufriedenheit beim Schunkeln zu «Blau, blau, blau blüht der Enzian». Übrigens, «Blau» scheint die Getränkefarbe schlechthin zu sein (nicht nur wegen dem Blue Curaçao), wie dieses Video zeigt.

Wyss (entrüstet): Dieses Machwerk ist eine Verumglimpfung meiner Lieblingsfarbe!

Klinger: Blau ist deine Lieblingsfarbe? Das erklärt dieses Streitgespräch. Meine ist komplementär. Ich liebe zwar die blaue Stunde, aber vor allem wegen dieser anderen Farbe am Horizont: Orange. Sorry, Züri!

Wyss (erschöpft): Wie es scheint, sind wir irgendwie in einer Patt-Situation angelangt. Und die zentrale Frage haben wir dennoch nicht geklärt.

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Klinger (ironisch salbadernd): Vielleicht ist ja der lange blaue Weg, den wir gemeinsam zurückgelegt haben, wichtiger als das Ziel, sprich als die Antwort.

Hier geht’s zu Teil 1 des blauen Dramas.

Noch mehr Blau gefällig? Hier geht’s zum Artikel «So machen wir Blau».

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