Die Tricolore des italienischen ÖVs

Es gibt nicht wenige Menschen, die sagen, Zürichs Herz schlage im Takt der VBZ. Das ist ein schönes Kompliment – wie sehr die Qualität und Zuverlässigkeit des öffentlichen Verkehrs dieser Stadt geschätzt wird. Wie aber ist das in anderen Grossstädten dieser Welt? Sind Busse, Trams, S- oder U-Bahnen dort ähnlich pünktlich und komfortabel wie bei uns? In einer losen Serie werden wir solche und ähnliche Fragen rund um den internationalen ÖV zu beantworten versuchen – durch persönliche Berichte von sogenannten «Sonderkorrespondenten». Heute stellt uns Jemeima Christen drei sehenswürdige öffentliche Verkehrsmittel von Italien vor.

Aller guten Dinge sind drei. Italien hat dieses uralte Erfolgsrezept sogar in den Landesfarben verewigt. Ganz wie die klassische Caprese: Tomate, Mozzarella, Basilikum. Es wäre daher nicht fair, ja geradezu unitalienisch, die Vielfalt des Stiefels nur auf eine Stadt und ein Transportmittel zu beschränken. Deshalb sind wir in diesem Bericht mit einer automatisierten Minimetro, mit Italiens ältestem Tram und mit dem Wasserbus in drei Städten unterwegs: Perugia, Mailand und Venedig.

Perugia

Einer der wenigen Orte der Welt, wo man den öffentlichen Verkehr als Touristenattraktion auf dem Reiseportal Tripadvisor bewerten kann, liegt in Perugia, Umbrien. «So macht die Nutzung der Öffis Spaß» kommentiert Manfred S. aus Österreich, 5 Sterne. Andrew P. schliesst sich dem an: «Zwar nur ein öffentliches Verkehrsmittel, aber genauso gut wie eine Bahn im Disneyland», auch 5 Sterne. Billabongshade aus Melbourne, Australien, verleiht der Minimetro 5 Sterne für den «Bladerunner experience». Dementsprechend hoch sind die Erwartungen von meiner Begleitung und mir, als wir um 22:32 Uhr die Koffer aus dem Reisecar hieven. Doch kaum am Terminal der Minimetro angekommen, leuchtet uns das Wort entgegen, welches man müde, verschwitzt und nachts in einem fremden Land definitiv nicht lesen möchte: «Chiuso». Die hochbegehrte Minimetro schliesst schon um 21 Uhr. Der Nachtbus fährt erst in einer Stunde. Ein kurzer, verzweifelter Telefonanruf in gebrochenem Italienglish später, lacht uns die Besitzerin unseres BnBs aus ihrem knallroten Fiat Mini entgegen, als sie uns notfallmässig von der verlassenen Metrostation abholt. Als wir durch die Altstadt von Perugia kurven, kommentiert sie unsere Begeisterung über die kleinen automatisierten Kabinen mit einem zynischen «Solo per i turisti» und fügt hinzu, dass man besser zu Fuss unterwegs sei.

Tatsächlich spalten sich unter den BewohnerInnen der Mittelalter-Stadt Perugia die Meinungen über die weltweit erste Minimetro. Die Stadt ist mit dem Bus auch nachts gut angeschlossen. Und dennoch wurde gerade in dieser bescheidenen Stadt auf dem Hügel 1998 die Idee zu einer der ersten Minimetros weltweit geboren. 98 Millionen Euro und ein Jahrzehnt später führen die kleinen fahrerlosen Kabinen direkt ins Zentrum der pittoresken Mittelalter-Stadt. Die Metro verbindet diverse Sehenswürdigkeiten der Umgebung relativ günstig. Die vom französischen Architekten Jean Nouvel entworfenen roten Kurven (weshalb die Minimetro auch liebevoll «Linea Rossa» genannt wird), schmiegen sich elegant an die Landschaft. Für einen Teil der Strecke blickt man auf das typisch italienische Terrain von oben. Obwohl die Idee einer Fahrt ganz ohne Personal zunächst etwas befremdend wirkt, ist die Fahrt ein wahres Abenteuer. Kein halsbrecherisches, waghalsiges Abenteuer wie eine Seilbahnfahrt mit Höhenangst, sondern eher wie eine schnelle Zeitreise in die Zukunft – besonders wenn die kleinen Kabinen in den Untergrund tauchen. «Nur für Touristen» hin oder her – eine Spritztour mit der Minimetro lohnt sich. Wie so eine Fahrt aussieht, ist zur Genüge auf Youtube dokumentiert. Technische Details und mehr findet man hier.

Mailand

Wir schlendern durch die breiten Strassen Mailands. In der Nachmittagshitze schmelzen unsere Gelati innert kürzester Zeit. Plötzlich hört man aus der Ferne ein Rattern. Meine Begleitung drängt mich: «Schnell, das Tram kommt!». Ich fische die Kamera aus der Tasche, drehe nervös an den Einstellungen und schiesse los, ehe das Tram an uns vorbeirollt. Enttäuscht klicke ich mich durch die Bildvorschau – wieder nicht ganz so erwischt, wie ich es gerne hätte. Bis zum nächsten «Ventotto» müssen wir aber nicht lange warten. Obwohl die ATM-1500er hierzulande schon lange nur als Museumslinie zu sichten wären, fahren die mailändischen Oldtimer seit 1928 (daher auch der Spitzname 28 – «Ventotto») planmässig durch die Strassen Mailands. Das Tram ist ein stolzer Bestandteil der mailändischen Kultur, daher überrascht es auch nicht, dass es sich in der Alltagssprache niedergeschlagen hat. «Attaccarsi al tram», so der Ausdruck, heisst so viel wie «sich am Tram festhalten». Früher war das eine wortwörtliche Praxis, um sich eine Mitfahrt ohne Ticket zu ergattern.

Alle festhalten bitte! | Bild: Lostrillo

Heute wirft man jemanden, der sich in einer unglücklichen Situation nicht helfen lassen will, «Attacati al tram!» frustriert an den Kopf (im Sinne von: «Dann sieh zu, wie du alleine weiterkommst.»). Wenn die vorgeschlagene Lösung nicht passt, müsse man eben erfinderisch werden. Auch wir bleiben dem Tram auf den Fersen und hüpfen in den erstbesten «Ventotto» ein, der uns entgegenfährt. Abgesehen vom modernen Kartenlesegerät (in Italien muss man jedes Ticket vor dem Einstieg entwerten), fühlt man sich durch das hölzerne Interieur in eine andere Zeit versetzt. Der bis zum Hals tätowierte Trampilot navigiert uns durch die malerische Modestadt. Das Fazit: Sparen Sie sich das Geld für den City-Tourbus und steigen Sie stattdessen in eines der vielen ATM 1500er ein, das Sie durch die schönsten Teile Mailands führt – authentischer geht es fast nicht.  Mehr Infos zum Oldtimer finden sie auf http://www.milanotram.com/.

Venedig

Ich habe noch nie ein Buch von Donna Leon gelesen. Die Venezianer und Venezianerinnen, so habe ich es mir sagen lassen, noch weniger (n.b. es sei denn in einer der 20 aus dem Englischen übersetzten Fremdsprachen): Denn die Fälle von Comissario Brunetti sind bisher noch nie ins Italienische übertragen worden. Ich kenne die Krimigeschichten rund um die Stadt Venedig nur in Fragmenten aus den Büchern meiner Mutter (hier ein Kapitel, dort ein Abschnitt – als Kind las ich alles, was mir unter die Finger kam). Dennoch war der Eindruck fesselnd genug, dass ich mir bereits während der Zugfahrt über die «Via della libertà» ausmale, wie ich durch die engen Gassen der Inselstadt irre, kriminelle Machenschaften entlarve und anschliessend an der Rialtobrücke mit einem Ombra (so nennt man den günstigen Hauswein, den man im Stehen geniesst) auf die Heldentat stosse. Kaum angekommen wird deutlich, dass – entgegen meiner lebendigen Fantasie – eine Verfolgungsjagd mit einem Vaporetto etwa so sinnvoll wäre, wie mit einem Doppelgelenkbus.

Auch die Preise für die einzige ÖV-Option in Venedig sind ernüchternd: Eine Einzelfahrt kostet 7 Euro, ein Tagesticket 20 Euro. Wie leisten sich das die Leute von Venedig? Ich habe mir im Nachhinein von venezianischen Bekannten sagen lassen, dass man als Resident oder Residentin von Venedig eine Venezia Unica Karte beziehen kann und gegen Vorweis die Tickets zu einem Bruchteil des Preises bekommt (hier finden sich auch Angebote für Touristen). Während wir, zwei offensichtliche Kamera-um-den-Hals-Touristinnen, mit den restlichen Reisenden, die mit schweren Koffern belagert sind, auf den nächsten Wasserbus warten, erscheint mir die «Touristen-Taxe» angesichts des zusätzlichen Aufwandes nicht unangemessen zu sein.

Die Vaporetti sind pünktlich, und um dies zu gewähren, muss das Personal die Touristenmassen so schnell wie möglich in das Boot lotsen. Die Anweisungen sind nicht unfreundlich, aber doch ungewohnt streng. Anders, als auf einer gemütlichen kleinen Rundfahrt zwischen Bürkliplatz, Thalwil und Erlenbach, sind die Boote rappelvoll, wie auch jede andere Form von ÖV zu Stosszeiten. Mit einem bisschen Glück erwischt man einen Platz mit Sicht aufs Meer. Innerhalb der Stadt ist man, ausser man hat Gepäck, fast besser zu Fuss auf Entdeckungsreise. Die nahegelegenen Inseln, wie Murano und Burano, sind nur mit dem Wasserbus erreichbar, eingepfercht zwischen teuren Kameras und klebrigen Esswaren, doch die Fahrt ist trotz langer Dauer bei schönem Wetter ein Traum. Für die Strandinsel Lido hat unsere Zeit in Venedig leider nicht gereicht. Dementsprechend habe ich meine zerkritzelte Ausgabe von «Der Tod in Venedig» ungelesen wieder eingepackt. Ich habe gelernt: Für Venedig muss man sich viel Zeit lassen. Beim nächsten Besuch, packe ich das Buch aber wieder ein. Mehr Infos zu Venedigs Wasserbussen findet man hier:http://actv.avmspa.it/en/content/vaporetto

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