Es gibt nicht wenige Menschen, die sagen, Zürichs Herz schlage im Takt der VBZ. Das ist ein schönes Kompliment – wie sehr die Qualität und Zuverlässigkeit des öffentlichen Verkehrs dieser Stadt geschätzt wird. Wie aber ist das in anderen Grossstädten dieser Welt? Sind Busse, Trams, S- oder U-Bahnen dort ähnlich pünktlich und komfortabel wie bei uns? In einer losen Serie werden wir solche und ähnliche Fragen rund um den internationalen ÖV zu beantworten versuchen – durch persönliche Berichte von sogenannten «Sonderkorrespondenten». Heute stellt uns Natascha Klinger die «Eisenbahn des Todes» im Norden von Thailand vor.
Eine Brücke zu überqueren, hinterlässt irgendwie Wirkung, anders, als einfach der Strasse entlang zu laufen. Vielleicht liegt es an der positiven Metapher «Brücken schlagen». Dabei muss es noch nicht mal die Golden Gate Bridge sein. Das Prinzip gilt ebenso für die Quaibrücke und jenes Exemplar hoch im Norden von Thailand, auf der unsere Geschichte beginnt.
Es geht hier zu und her wie auf einem Jahrmarkt. Da verkauft einer bunte Tücher, dort singt – in der Hoffnung auf ein paar Baht – ein kleines Mädchen beherzt und lautstark ihre Lieder. Touristen drängeln sich kreuz und quer über Gleise, den Blick starr auf die Kamera gerichtet, um das perfekte Bild der herannahenden Eisenbahn auf ewig festzuhalten. Eine ganz gewöhnliche Eisenbahn, wie man sie so ähnlich überall in Asien sieht, und deren vordergründiger Reiz wohl eher in den Brücken auf der Strecke liegt, die sie befährt. Während sich das wuchtige Gefährt im Schritttempo nähert, verscheucht das Bahnpersonal energisch all jene, die sich bis zur letzten Sekunden die auf den Schwellen tummeln.
Strecke des Grauens
Es ist nicht das hektische Treiben der Fotowütigen, das der heute in fröhlich bunten Farben leuchtenden «Eisenbahn des Todes» den Namen verliehen hat. Auch nicht das dicht gedrängte Gewusel in den Abteilen hier auf dieser Strecke und ebenso wenig das Fahrverhalten des Zuges. Nein, es ist vielmehr das Schicksal der Erbauer dieser Bahnstrecke, das für die morbide Bezeichnung verantwortlich ist – die Geschichte eines Kriegsverbrechens.
In den Jahren des Zweiten Weltkriegs besetzten die Japaner auf ihrem Eroberungsfeldzug durch Asien auch Thailand. Das restliche Südostasien war bereits in fester Hand der Kriegsherren, die thailändische Regierung kooperierte mit der überlegenen Streitmacht. Nun musste der Transport von Waffen und Materialien sichergestellt werden. Eine insgesamt 415 Kilometer lange Zugstrecke zwischen Thailand und Burma sollte dem japanischen Militär dabei ermöglichen, den zunehmend von den Alliierten dominierten, riskanten malaiischen Seeweg zu umgehen.
Auf dem «Hellfire Pass» in der thailändischen Region Kanchanaburi steht heute ein Gebäude, das wie eine schnuckelige kleine Bahnstation anmutet. Dahinter verbirgt sich das «Hellfire-Pass-Memorial-Museum», welches Zeugnis über eine Geschichte ablegt, bei der sich die Nackenhaare sträuben. Mit viel Bildmaterial und nachgestellten Szenen erfährt der geneigte Besucher, wie das Bauwerk möglich wurde: Mit Arbeitskräften, die so herbeigeschafft wurden, wie man es auch aus anderen Schauplätzen des zweiten Weltkrieges kennt. Nämlich wie Vieh in Zugwaggons zusammengepfercht. Die Fracht bestand aus rund 61‘000 Kriegsgefangenen der Alliierten, vor allem Briten, Niederländer, Amerikaner und, last but noch least, auch rund 200‘000 asiatische Zwangsarbeiter. Sie alle sollten die Eisenbahnstrecke von Nong Pladuk in Thailand nach Thanbyuzayat im heutigen Myanmar bauen.
Schwere Historie unter zirpenden Zikaden
Ein kleiner Spaziergang am «Hellfire Pass» in der Nähe des Sai York-Nationalparks lädt dazu ein, sich das Unvorstellbare vorzustellen. Trotz der drückenden 38 Grad Hitze lässt sich im Schatten jener Felsen, welche die Spuren der Vergangenheit noch in sich tragen, nur vage nachempfinden, durch welche Hölle die Arbeiter gegangen sein müssen, damals zwischen 1942 und 1945. Und doch ist es ein unbequem irritierendes Kontrastprogramm für all jene, die nur Stunden später in hochromantisch gelegene Unterkünfte am Rande des Flusses Khwae Yai einchecken werden. Die leichtherzige Atmosphäre unter zirpenden Zikaden will nicht so recht harmonieren mit dem Stück Historie, das hier serviert wird:
Die Gefangenen hatten nämlich bei einem Minimum an Nahrung während bis zu 18 Stunden am Tag Schwerstarbeit zu verrichten. Sie mussten, nur mit einfachsten Werkzeugen ausgestattet, Bäume für den Bau der Schwellen fällen, Brücken zusammenzimmern, Felsen sprengen und zu Schotter zerkleinern – was immer für diese Eisenbahnlinie nötig war. In der Folge liessen Hunger und Auszehrung die Arbeitssklaven, sprich die Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter, bis auf die Knochen abmagern und zusammenbrechen. Hinzu kamen Krankheiten wie Malaria, Dysenterie und Cholera. Gnade gab es keine. Die Folterer erzwangen die Weiterarbeit mit Peitschenschlägen. Erst der Tod erlöste viele der Arbeiter – die Schätzungen liegen bei 40‘000 bis 90‘000 Menschen – von ihren Leiden. Heute liegen tausende der Opfer neben dem Museum auf dem Friedhof. Die kleinen Schilder auf den Gräbern berichten über den Namen und die Herkunft der meist sehr jung gestorbenen Männer. Ein sehr viel grösserer Teil der Toten indes blieb für immer verschollen.
«Die Brutalität und Grausamkeit der Japaner vor Ort war dem zunehmenden Druck geschuldet, der auf ihnen lastete, und den sie nach unten weitergaben» – so ist die buddhistisch nachsichtige Erklärung seitens der Thailänder heute auf einem Schild im «Hellfire-Pass-Memorial»-Museum zu lesen. Die zunehmende Überlegenheit der Alliierten liess die japanische Führung nämlich den Termin für die Inbetriebnahme der «Thailand–Burma Connecting Railway» vorverlegen. Der einsetzende Monsun machte die Arbeitsbedingungen noch härter und verlangsamte die Bautätigkeiten. Gleichzeitig bombardierten die Alliierten immer wieder Brücken auf der Strecke, so auch die aus dem Kinofilm berühmte Brücke am «River Kwai», die erst aus Holz und später aus Stahl gebaut wurde. Am 2. September 1945 schliesslich kapitulierte Japan.
Schläfrige Stimmung und klickende Kameras
Heute tuckern Besucher und Einheimische über die von diesem buchstäblichen Wahnsinnsprojekt noch verbliebene, 131 Kilometer lange Bahnstrecke. Die Original-Züge sind inzwischen anderswo zu besichtigen, das moderne Rollmaterial ist nicht luxuriös, aber durchaus komfortabel. Auf der kurzen Strecke zwischen Nam Tok und Tha Kilen, abseits der von Menschen gefluteten Film-Brücke, herrscht eine schläfrige Stimmung. Knapp ein Dutzend Touristen, einige davon liegen der Länge nach auf den Bänken, die anderen kleben mit gezückter Kamera am Fenster. Schliesslich rattert der Zug über das hölzerne und eher wackelig anmutende Tham-Krasae-Viadukt, und wir tun das, was alle tun: Wir klicken mit der Kamera und freuen uns, dass wir auch diese Passage heil überstehen.
Und so lassen wir die Geschichte unvorstellbarer Kriegsgräuel mitsamt der üppigen Landschaft, knarrendem Holz und bunter Betriebsamkeit auf den Perrons hinter uns und schliessen das Kapitel symbolisch: Mit einer Fahrt aus der Vergangenheit und – nicht ganz ohne ein leicht schales Gefühl – hinein in eine weitgehend unbekümmerte Gegenwart.