Der ehrgeizige Primusbus

Die VBZ-Linien sind Zürichs Lebensadern. Schnurgerade oder mit Ecken und Kurven verlaufen sie kreuz und quer durch die ganze Stadt. Dabei hat jede dieser Linien ihren Charakter, der geprägt ist von den Fahrgästen und der Strecke. In einer losen Serie gehen wir ihren Persönlichkeiten auf den Grund. Diesmal: Die Buslinie 83.

Alles begann mit zwei kleinen, unscheinbaren Buslinien; die 71 und die 95. Während die 95 ein eher unspektakuläres, ja gar ein Mauerblümchen-Dasein im Wilden Westen von Zürich führte – und zwar nicht in Zürich-West, wie Sie vielleicht denken mögen, sondern im wahren, echten Westen der Stadt, in Altstetten –, unterstützte die 71 tatkräftig die oft rappelvollen, emsig hin und her eilenden Trolleybusse über die Hardbrücke. Beide verbrachten sie ihr Tagwerk gewissermassen als Teilzeit-Angestellte in einem überschaubaren Arbeitsumfeld.

Die 71 konnte sich als Nummer immerhin rühmen, die grösste supersinguläre Primzahl zu sein – eine Eigenschaft, die sich fast so mystisch anhört wie jene der 42 (diese Zahl ist nicht nur die Antwort auf alles, sie ist obendrein der kleinstdimensionale Raum ohne Wurstkatastrophe – falls Sie nun denken, die Schreibende hätte irgendwelche merkwürdigen Kräuter inhaliert, empfehle ich Ihnen die Lektüre dieses höchst aufschlussreichen Wikipedia-Eintrags über besondere Zahlen). Allerdings war unserer 71 ein zeitlich recht begrenztes Gastspiel im schönen Zürich beschieden. Obschon sie erst im Jahre 2013 Kurs aufgenommen hatte, fand ihr Engagement schon nach zwei Jahren ein abruptes Ende.

Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Busse zur Paarungszeit

Grund dafür war eine von der VBZ arrangierte Ehe zwischen den Linien 71 und 95. Die Krux so einer Bus-Heirat besteht darin, dass – so ähnlich wie bei den «Schwarzen Witwen» in der Spinnenwelt – mindestens einer der Ehepartner hinterher nicht mehr existiert. Im Falle unseres Liebespaars endete die Angelegenheit allerdings mehr im Sinne von «bist du nicht, will auch ich nicht sein» mit einem gemeinsamen Ende. Dabei entspross der Verbindung jedoch die Linie 83, welche fortan das Erbe der beiden Buslinien antreten sollte. Falls Sie diese Geschichte für ein reines Ammenmärchen halten, dürfen Sie gerne nachrechnen: 71 plus 95 und die Summe davon geteilt durch 2 ergibt: 83! Ich versichere Ihnen, dass es sich hierbei keinesfalls um einen Zufall handelt. Natürlich ist die 83, so ganz nebenbei erwähnt, auch eine Primzahl. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.

Ab 13. Dezember 2015 kundschaftete der Frischling mit der Nummer 83 also sein Quartier vom Bahnhof Altstetten bis zum Milchbuck aus, vorerst mal nur am Morgen und am Abend. Die vordergründige Bescheidenheit täuscht. In der 83 schlummerte von Anfang an ein beachtlicher Ehrgeiz, mit dem sie sich schon im Folgejahr um mehr Einfluss bemühte.

Die junge 83, nicht nur bergauf zu Höherem geboren

Als nämlich die 89, mit der sie sich einige Haltestellen teilt, ihre Einsatzzeiten ausweiten durfte, forderte auch sie, die 83, dasselbe Recht für sich ein. Pünktlich zur Fertigstellung des Freilager-Areals im Dezember 2016 sah man die Busse der noch jungen Linie deshalb tagsüber etwas früher auf der Strecke passieren, als dies bis anhin der Fall gewesen war. So ganz am Rande sei erwähnt, dass man die bessere Erschliessung des Freilagers mit unseren Bussen damals von keinem Geringeren als dem Künstler Dieter Meier kommentieren liess, der in besagtem Quartier eine Brasserie führt. Im damit einhergehenden Glanz mag sich auch die 83 gesonnt haben. Jedenfalls war sie erst mal zufrieden. Dachte man.

In Wirklichkeit zog die 83 im Stillen die Fäden für eine steile Karriere und plante ihre weitere Lauf- beziehungsweise Fahrbahn. Während sie gewissenhaft ihre Kreise zog, zwinkerten ihre Scheinwerfer den vorbeieilenden Passanten freundlich zu und die einladend aufgeschwungenen Türen zogen immer Fahrgäste an. Vor allem aus dem Freilager erhielt die 83 sehr viel Support, brachte sie die Neuzuzüger doch bequem wahlweise an den einen oder anderen Bahnhof. Vom Erfolg beflügelt, liess die ehrgeizige Buslinie die Angebotsplaner der VBZ fortan kaum zur Ruhe kommen. Im 2018 dehnte der Bus seine Einsatzzeiten noch weiter aus, indem er beim ersten Hahnenschrei den Motor anwarf und abends in den Sonnenuntergang hineinritt. Für die 83 selber war das Erreichte indes gerade mal so befriedigend wie eine Lohnerhöhung um 100 Franken, wenn man eigentlich zum Abteilungsleiter hätte befördert werden wollen.

Anno 2019 erfolgte der Durchbruch: Die Linie 83 wurde, mit ihren vier Lenzen, erwachsen. Nunmehr fuhr sie den ganzen Tag hindurch, und zwar alle 15 Minuten. Bei uns Menschen ist es ja nicht selten üblich, dem Jungvolk beim Eintritt ins Erwachsenenalter die Fahrprüfung zu spendieren. Natürlich ist so ein Geschenk, so ganz unter uns, in Zürich ja eher weniger sinnstiftend und wäre bei einem Bus, dem die Gabe des Fahrens in die Wiege gelegt ist, ähnlich absurd wie wenn man einer Katze eine Mausefalle schenken wollte. Man hat sich also etwas viel Besseres ausgedacht, um der ambitionierten Linie noch im Sommer 2020 den nächsten Entwicklungsschritt zu ermöglichen: die Umstellung auf Batterie-Trolleybusse!

Auch punkto Technologie ein Bus auf Überholspur

Diese Typveränderung zum Elektro-Bus, wie sie einem «Digital Native» bestens zu Gesicht steht, findet seine Berechtigung nicht nur bei den zahlreichen Fahrgästen, welche unterdessen übrigens rund eine Million mal mehr in den Bus einsteigen als noch im Jahr der Inbetriebnahme, sondern natürlich auch unter einem ökologischen Blickwinkel – immerhin werden so rund 540 Tonnen CO2 eingespart.

Bei all dieser Zielstrebigkeit täte man der 83 Unrecht, wollte man sie einen Emporkömmling schimpfen, auch wenn es ab der Hardbrücke zum Milchbuck natürlich ein gutes Stück aufwärts geht. In der Gegenrichtung gewissermassen direkt ab der Uni kommend, ist sie sowohl Akademikerin wie auch eine Chrampferin mit ordentlich «Pfuus» im Faltenbalg. Eine, die aus eigenem – nunmehr strombasiertem – Antrieb vorwärtskommt. Natürlich spielt sie nach ihrem Wechsel unter den Bussen in einer sehr innovativen Liga und zeigt auch punkto Atmosphäre Klasse. Nicht nur eine Primzahl, vielmehr ein Primus! Auch wenn es ein bisschen nach Hochglanzprospekt klingt, sind die Sitze der Batterie-Trolleys nunmal mit dem ebenso eleganten wie nachhaltigen E-Leather bezogen, ausserdem stehen USB-Stecker zur Verfügung, mit denen die persönlichen Devices aufgeladen werden können, während der Bus seinem Ziel entgegen stromert. Man könnte also sagen, die Linie 83 ist zur Business-Class avanciert. Und wer sind die Fahrgäste dieser rollenden Lounge?

Die gute Nachricht: Auch weiterhin kann mit dem regulären Ticket in das 83gi eingestiegen werden. Nichtsdestoweniger werden in den Bussen öfters mal Damen und Herren mit Aktenköfferchen gesichtet. Wer noch einen Termin in der Business-Class der fliegenden Kollegen hat, ist mit der Linie 83 ohnehin gut bedient. Ab Flurstrasse beispielsweise sparen sich die mit Gepäck beladenen Reisewilligen Richtung Flughafen nämlich die Umsteigerei am Albisriederplatz und bleiben direkt bis zum Bahnhof Hardbrücke sitzen. Besagter Bahnhof, der ja gewissermassen das pulsierende Herz der Strecke ist, bringt die Reisenden an alle möglichen Ziele, am meisten schätzungsweise aber an den Arbeitsplatz. Weshalb sich die Fahrgäste der Linie 83 wohl mindestens zwei Eigenschaften mit ihrer Buslinie teilen: Sie sind nicht nur smart, sie wollen auch etwas erreichen!

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