Daheim, in der Welt

«Wo wir fahren, lebt Zürich»: Unser Versprechen gilt in guten Zeiten und auch in diesen. Zürich lebt, auch wenn es gerade etwas aus dem Takt gekommen ist. Darüber, wie es unserer Stadt und ihnen so geht, erzählen Zürcherinnen und Zürcher gemeinsam mit uns in der Serie #sogahtsZüri. Weltenbummlerin Charlotte Peter trifft man in der Regel immer irgendwo unterwegs an. Jetzt, wo sie zu Hause bleiben muss, schreibt sie darüber, warum sie das Reisen glücklich macht.

Foto Charlotte Peter: Christian Lanz

Charlotte Peter ist im Grunde immer daheim. Überall und unterwegs. Das ist keineswegs paradox, denn die passionierte Entdeckerin hat eine weltumspannende Heimat, wie sie mit einer Liebeserklärung unterstreicht: «Ich liebe diese Welt und bin hier zu Hause. Ein schönes Gefühl!»

Schon seit 75 Jahren bereist die Historikerin aller Damen und Herren Länder, am liebsten in jene Gegenden, in denen nur wenige Touristen anzutreffen sind. Selbstredend hat sie so einiges erlebt, wie im Gespräch deutlich wird, denn immer wieder sprudeln Geschichten aus ihr heraus, so sprühend fast wie Geysire im Yellowstone-Nationalpark. Wer aber glaubt, die Reiseautorin sitze dieser Tage mit sehnsuchtsvollem Blick am Fenster, sehe sich getäuscht. «Ich bin kurz vor dem Lockdown gerade noch aus Südamerika zurückgekehrt», vermeldet sie fröhlich, «und arbeite an meinem neuen Buch». Dieses trägt den Titel «Warum mich das Reisen glücklich gemacht hat.»

«Im Moment grabe ich mich durch meine Bücher»

Die stattliche Liste ihrer Publikationen und Reiseführer lässt vermuten, dass sie auch in der Ferne die eine oder andere ruhige Minute fand. Das letzte Buch, ein Gemeinschaftswerk mit Reporterin Suzanne Speich, erschien 2019 und heisst «Was wir nicht schreiben durften», das vorletzte von 2018 trägt den Namen «Die Geschichte eines hässlichen Mädchens», wobei ich ja entschieden der Meinung bin, dass es «Die Geschichte eines höchst klugen Mädchens» hätte heissen müssen.

Die Abenteurerin geht vollends in der Bereicherung durch fremde Kulturen auf, schon seit ihrer Studienzeit, in der sie als Reiseleiterin für akademische Reisen startete. Ein Ehemann hätte da nicht mithalten können, auch Kinder haben in so einem Leben kaum Platz. In ihrer Freizeit versenkt sie sich in Bücher. So recherchiert sie aktuell für ihre neue Ode an das Reisen Zitate aus der Bhagavad-Gita und den Veden, beides Schriften aus dem Hinduismus, sowie dem Talmuth und dem Koran. Von letzterem habe sie fünf Übersetzungen;  Hocharabisch könne sie nicht (nur Französisch, Englisch, Spanisch sowie ein wenig Chinesisch und Sanskrit…).

Auch bei Konfuzius und Laotse, «den ganzen grossen Geistern der Weltliteratur», bediene sie sich, erklärt sie enthusiastisch und hüpft flott zum nächsten Thema, der widersprüchlichen Logik beim Einkaufen im Coop nämlich: «Da steht man mit zwei Meter Abstand in der Höschgasse, aber kaum drin, geht man auf Tuchfühlung mit Leuten an der Gemüseauslage». Ob Charlotte Peter, quasi die Verkörperung der Unabhängigkeit, jemanden für sich einkaufen lässt? Kein Thema! Weil ich das ahne, ist meine Frage, ob sie keine Angst habe, denn auch eher rhetorisch gemeint. «Ich habe lange und gut gelebt – Inschallah», erwidert sie gelassen.

Totschlag in Papa-Neuguinea, der Vietcong und eine Stadt ohne Blumentöpfe

Ohnehin ist die Frau von unerschrockener Natur. «Manchmal schätzen die Leute auch die Situation falsch ein», wiegelt sie ab. Da werde sie gefragt: «Wie bitte, du spazierst ganz alleine in Shanghai herum?», dabei sei das doch eine der sichersten Städte der Welt. Natürlich seien gewisse Quartiere zu meiden, gerade in den Städten Südamerikas, meint sie. Und schiebt eine Anekdote von zwei Herren nach, die in Papa-Neuguinea von Bord gingen und durchs Rotlichtquartier von Port Moresby bummelten – worauf sie prompt überfallen und ermordet wurden. «Da haben die Amerikaner die Schiffahrtsgesellschaft verklagt, worauf diese nicht mehr hinfuhren – just, als ich der tollen Kunst wegen in die Gegend wollte!», klagt sie, mit einem kaum verhohlenen kleinen Triumph. Ihr Ziel hat sie dann nämlich trotzdem erreicht: Per Flugzeug und mit dem Einbaum.

«Ich komme mir vor wie ein Sack voller Erinnerungen»

Daheimbleiben, das kann dieser Freigeist nicht, und seien es auch nur ihre Gedanken, die in allen Teilen der Welt herumspringen: «Ich komme mir vor wie ein Sack voller Erinnerungen», unterbricht sie ihren pulsierenden Anekdotenstrom, überlegt und resümiert, unterm Strich sei ihr noch nicht mal in Vietnam etwas passiert – zu Zeiten des Krieges. Brenzlig sei allein eine Situation bei den Buddha-Höhlen in Hué gewesen, wo plötzlich der Reiseleiter an der Gruppe vorbei Richtung Meer raste, aus Furcht, weil ihm ein Vietcong die Strasse abgeschnitten hatte. So ganz gefährlich klingt das dann doch nicht: «Ich meinte noch, ‹hör doch auf, wir müssen jetzt sicher nicht baden›», erinnert sie sich vergnügt.

Klassische Badeferien, wen erstaunt’s, sind natürlich nicht das Ding dieser Abenteuerin. «Ich sehe mir lieber neue Städte an, zum Beispiel Brasília. Da war ich, zwei Tage nach der Eröffnung. Der Stararchitekt, Oscar Niemeyer, war ja schon ein bisschen ein ‹Diktator›. Weder Blumentöpfe, noch bunte Fensterläden oder Gartenrestaurants und auch keine Schaufenster sollte ‹seine› Stadt haben. Das hat dem brasilianischen Volk natürlich gar nicht gepasst», meint sie süffisant. Niemeyer scheint nicht so Peters Ding zu sein, ganz anders als Corbusier, «der die Städte für die Menschen gebaut hat und nicht nur für seinen Ruhm», wie sie betont.

Nicht glauben – alles hinterfragen und selber denken!

Sobald man wieder fliegen darf, will sie ihre Reise in Südamerika fortsetzen. Anfang des Jahres war sie nämlich in Guatemala. «Faszinierend, was für Purzelbäume die Weltgeschichte gemacht hat», sinniert sie. Als sie noch jung war, da habe man die Mayagötter versteckt, und jetzt stelle man sie gleichberechtigt neben Maria und Jesus hin. «Allerdings», sprudelt sie munter weiter, «war ich auch in Surinam. Man sagte mir, da habe es ein tolles Dorf, in dem noch Schamanen aktiv sind – aber jetzt haben sie dort eine Baptistenkirche für 1000 Leute hingestellt, obwohl das Dorf gerade mal 100 Leute zählt».

Das mit dem Glauben ist ohnehin so eine Sache. Zwar hat sie etliche Ashrams und buddhistische Klöster von innen gesehen, ebenso befasste sie sich intensiv mit dem Schamanismus.  Dem usbekischen Sufi Tabib hat sie gar ein eigenes Buch gewidmet. Sie sagt, das habe sie schon «ganz gewaltig» geprägt: «Ich habe in den lamaistischen Orten dieser Welt gelernt, dass es drei Faktoren sind, die das Unheil in die Welt bringen: Gier, Boshaftigkeit und Unwissenheit». Trotzdem sei das Glauben als solches nicht ihres. «Es heisst immer, man solle glauben, glauben, glauben. Und am Ende glaubt man ganz falsch. Nicht glauben, lieber wissen und hinterfragen soll man!», ist sie überzeugt.

96 und noch kein bisschen müde: Charlotte Peter hat einen reichen Erfahrungsschatz. (Foto: Christian Lanz)

Nach dem Lockdown jedenfalls gehe es statt nach Surinam nach Panama, zu den Kuna, die ihr nicht nur mit ihrer Webtechnik aus verschiedenen Stoffen imponieren, sondern vor allem mit dem dort herrschenden Matriarchat. Gleichzeitig vermisst sie aber auch China – das sie nämlich besonders liebt, wie sie sagt. «Ich war kürzlich in Ezhou. Dort gibt es noch alte Traditionen, und zwar nicht von Han-Chinesen, sondern von verschiedenen Minoritäten.» Klingt als hätte Charlotte Peter einen wirklich sehr grossen Garten. Einen solchen hat sie übrigens tatsächlich. Oder eher einen Dschungel, wie sie betont, in einem alten Haus im Seefeld, das ihrem Grossvater gehörte. Und zwar an einer Ecke, die wohl vielen zu laut wäre, für sie aber perfekt passt: «Ich bin nämlich ein absoluter Stadtmensch», erklärt sie beschwingt.

Der heilige Gral der Jugend und ein guter Schuss Weisheit

Sie komme zum Schluss halt nochmals auf ihre Buddhisten zurück, letztlich liege die Zufriedenheit darin, dass man nicht zu viel wolle und mit Liebe in die Welt schaue: «Wissen Sie, ich bin nie gereist, um die Leute zu belehren, sondern um selber zu lernen. Und ich lerne heute noch jeden Tag Neues dazu.»

Noch mehr Geschichten darüber, wie es den Zürcherinnen und Zürchern in diesen Zeiten geht, gibt’s unter #sogahtsZüri. Wer selber Teil von #sogahtsZüri sein möchte, kann unter vbz.ch/sogahtszueri mitmachen. 

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