Charaktergemüse, ab Velo serviert

Das Thema Food Waste ist in aller Munde, und zunehmend auch die Lebensmittel, um die es dabei geht. Laufend werden neue Ideen geboren, wie der Verschwendung Einhalt zu gebieten sei. Zum Beispiel beim Take-away «Zum guten Heinrich».

Während in den Ferien das Auge an den Tischen der grossen Hotelanlagen noch missbilligend registriert, welch grosse Portionen geschöpft und stehengelassen werden, reagieren im Alltag schon die Grossverteiler auf die steigende Nachfrage nach einem nachhaltigen Konsumverhalten. Die Migros, und unter dem Label «Ünique» auch Coop, verkaufen jetzt Rüebli und andere vitaminreiche Kost, die zweifelsfrei origineller aussehen als das Normgemüse und so die kindliche und manch andere Fantasie anregen.

Aber das zeitgeistige Phänomen zeigt sich nicht nur bei den Grossisten. Der «gute Heinrich» ist allein schon deshalb ökologisch, weil er mit dem Velo daherradelt. Im Anhänger sind Leckereien für den Mittagstisch, die mit sogenannt «nicht kalibriertem» Gemüse gekocht wurden. Verständlicher ausgedrückt heisst das: Krumme Gurken, dreibeinige Rüebli, alles sympathische Unikate also. Der «gute Heinrich» ist ursprünglich übrigens der Name eines wilden Spinats.

«Rund 45% der Lebensmittel-Abfälle steuern die Privathaushalte bei.»

Die Idee der Gründerväter Remo Bebié, Thomas Lehmann, Fabian Langensteiner und Lukas Bühler entstand vor über zwei Jahren an einem Start-up-Seminar. Und weil der Einfall blendend war, wurde er sogleich in die Praxis umgesetzt. «Die Idee ist vor allem, Privatpersonen für das Thema Food Waste zu sensibilisieren», sagt Remo Bebié. Das Problem sind nämlich nicht primär die Grossverteiler, denn diese sind bereits auf dem richtigen Kurs. Rund 45 Prozent der Lebensmittel-Abfälle steuern die Privathaushalte bei.

Brainfood vom Bauernhof

Der «gute Heinrich» transportierte also zunächst auf der guten alten «Berta» – einem behäbigen Velo – rund 250 Weckgläser mit ebenso schmackhaftem wie gesundem Essen vor die Zürcher Hochschulen, um die Studierenden mit ordentlichem Brainfood zu füttern. So spart sich der Fahrer immerhin auch das Fitnessstudio. Ab März 2015 stand das nach Essen duftende Velo jeden Dienstag beim Viadukt.

Schmeckt so fein, wie es aussieht (Bild: Zum guten Heinrich).

Das Gemüse, welches sonst nicht geerntet würde oder in die Biogasanlage käme,  gelangt von lokalen Bauern zu Mirko Buri (vom Berner Food-Start-up «Mein Küchenchef»). Dieser kocht die saisonalen Zutaten ohne Konservierungsstoffe zur weiteren Verarbeitung vor. Beim «guten Heinrich» führt Fabian Langensteiner das Mahl seiner Vollendung zu und füllt es schliesslich in die Weckgläser ab. Apropos Weckgläser – auch das ist wohlüberlegt, so wird nämlich kein Abfall produziert. Mal abgesehen davon, dass sie auch optisch einiges hergeben. Das Auge isst mit.

Gute Ideen werden unterstützt

Damit sich ein breiterer Kreis der Zürcher Bevölkerung an der fabelhaften Idee stärken kann, hat das Team eine Crowdfunding-Aktion ins Leben gerufen – und Unterstützung gefunden. Jetzt steht ein neues Velo, das «Gäbeli» (benannt nach einer Gönnerin) täglich an der Kalkbreite. Der zarte Name täuscht: Das stabile «Gäbeli» tritt voll beladen mit Gläsern à je 400 Gramm gegen den Hunger Zürichs an. Der nächste Standort an der Neugasse, bei der International Beer Bar, ist bereits auf September geplant. Und was geschieht mit «Berta»? Sie wird erst mal fit gemacht. Danach sieht man weiter.

Der Geschmackstest

So, und wie schmeckt das Essen? Serviert wurde bei unserem Besuch eine feine Omelette im Glas mit Zucchetti, Spinat, glasierten Rüebli, verfeinert mit Cantadou. Das Menü ist genau richtig gewürzt und schmeckt prima. Die Portionen machen satt, sind aber auch so berechnet, dass nichts weggeworfen werden muss. Ob die sympathische, lockere Atmosphäre beim «guten Heinrich» zum positiven Geschmackserlebnis beigetragen hat? Durchaus denkbar. Mit rund 15 bis 17 Franken pro Glas, je nach Tagesmenü (das Gazpacho mit Chnoblibrot kostet 12 Franken), ist der gesunde Lunch sehr konkurrenzfähig.

Das Résumée lautet: Eine tolle Idee, delikat umgesetzt. Dass moderner Zeitgeist, gutes Gewissen und urchiges Charaktergemüse sehr gut Hand in Hand gehen, beweist der «gute Heinrich».

Leichte, nachhaltige Mittagsmenüs – passend zur Jahreszeit (Bild: Zum guten Heinrich).

Facts & Figures zum Thema Food Waste

Rund ein Drittel aller verfügbaren Lebensmittel jährlich kommt in der Schweiz in den Abfall. Das sind etwa zwei Millionen Tonnen oder 300 Kilogramm pro Person. Die Schweizer Haushalte sind dabei mit 45 Prozent bzw. 117 Kilogramm Lebensmittel pro Jahr und Kopf beteiligt, also 320 Gramm pro Tag oder einem Fünftel der 1,5 Kilogramm , die wir täglich einkaufen – fast eine Mahlzeit pro Tag. 30 Prozent des Abfalls entstehen in der Landwirtschaft, 13 Prozent in der Gastronomie. Detail- und Grosshandel sind gerade mal mit je fünf bzw. zwei Prozent beteiligt.   Diese Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2007 und auf 7‘720‘000 Einwohner. Die Angaben sind einer Studie des WWF in Zusammenarbeit mit dem Verein foodwaste.ch vom Oktober 2012 entnommen und basieren auf den Masterarbeiten von João Almeida (Universität Basel) und Claudio Beretta (ETH Zürich).    Übrigens musste der Bund aus finanziellen Gründen eine fürs 2016 geplante, gross angelegte Sensiblisierungskampagne gegen den Food Waste vorläufig auf Eis legen. Ein Grund mehr, den Gedanken von sich aus mitzutragen und weiterzuverbreiten.

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