In jeder Situation das passende Verkehrsmittel: eine ZüriMobil-App macht's möglich. Wir haben mit Dr. Andrea Del Duce, Dozent der ZHAW mit Forschungsschwerpunkt Nachhaltige Mobilität, darüber gesprochen, was so eine App den Menschen bringen soll und was sie bringen muss, damit sie überhaupt genutzt wird.
Was darf’s denn heute sein? Ein Trottinett etwa, Bus und Tram oder doch ein Auto? Vielleicht eine Kombination aus alledem? «ZüriMobil» nennt sich die App, die einen Reiseweg nach individuellen Wunschkriterien mit verschiedenen Verkehrsmitteln berechnet. Im vergangenen Oktober haben die Stadt Zürich und Verkehrsbetriebe Zürich den Auftrag zur Programmierung einer solchen Mobilitätsplattform an die Firma HaCon erteilt. Wozu ist so eine App gut, und was muss im Vorfeld bedacht werden? Wir haben Dr. Andrea Del Duce, der sich an der ZHAW Winterthur mit dem Forschungsschwerpunkt nachhaltige Mobilität auseinandersetzt, gefragt, was bei der Konzeption so einer Plattform aus seiner Sicht wichtig ist.
Bei einer Mobilitätsplattform handelt es sich nicht, wie man meinen könnte, um ein Perron. Zuerst also, was versteht man überhaupt unter diesem Begriff?
Es handelt sich quasi um die digitale Form eines modernen Perrons, also um eine App, die einen Reiseweg nach verschiedenen Kriterien vorschlagen kann. Das Besondere daran ist, dass auf dieser Plattform unterschiedliche Verkehrsmittel involviert sind, je nach Bedürfnis des Fahrgasts und Anforderungen der Strecke. Im Idealfall können diese durch die App auch gebucht und die Tickets dafür bezahlt werden.
Wozu braucht die Welt so eine Mobilitätsplattform?
Heute dominiert das Auto, der Besitz eines eigenen Fahrzeugs. Ein Grossteil des Treibstoffs wird eigentlich dazu verwendet, Metall herumzufahren und nicht die 75 Kilo der Einzelperson, die darin sitzt. Das ist unglaublich ineffizient. Wer ein Auto fährt, wird aber nur wechseln, wenn bedürfnisgerechte Alternativen bestehen. Alternativen, die so nützlich und bequem sind, dass ein Wechsel für die Nutzerinnen und Nutzer interessant wird. Autos können zwar weiterhin ein Teil der Lösung sein, aber nicht der wichtigste Teil, wie es heute noch der Fall ist. Wir brauchen ein System, das stärker auf Fahrzeuge mit hoher Kapazität setzt, denn wir haben punkto Nachhaltigkeit grosse Herausforderungen vor uns.
Gilt dieses autozentrierte System auch für Zürich? Hier sind doch sehr viele Menschen ohne Auto unterwegs.
Rund die Hälfte der Haushalte in Zürich besitzt kein Auto. Das ist bemerkenswert und ein klares Zeichen dafür, was für ein gutes ÖV-System Zürich anbietet. Trotzdem muss man auch die Zupendler betrachten, also diejenigen, welche mit dem Auto nach Zürich fahren. Da gibt es sicherlich noch Potenzial für eine Umlagerung auf den ÖV oder Langsamverkehr.
Normalerweise möchte man doch lieber möglichst wenig umsteigen. Worin besteht der Anreiz, sein Fahrzeug zu wechseln?
Es gibt zwei Elemente, die ein solches Mobilitätskonzept ausmachen. Einerseits die Plattform als solches, andererseits das darin enthaltene Angebot. Die Sharing-Systeme wie Fahrräder, Mietautos und so weiter existieren ja bereits. Indem man je nach Situation einen einfachen Zugang zum passenden Verkehrsmittel durch eine Mobilitätsplattform erhält, kann dieses Angebot stärker ausgereizt werden. Die Multimodalität ist eine Stärke, das bringt Flexibilität. Bei einer Streckenblockierung der Bahn beispielsweise brauche ich möglichst schnell eine Alternative. Oder vielleicht liegt das Ziel meiner Reise in einer Gegend mit wenig Anschlüssen im ÖV. Dann kann ich – nur für die letzte Meile – schnell ein anderes Verkehrsmittel wählen, vielleicht auch ein Auto, war aber für den grössten Teil der Strecke mit dem Bus, Tram oder Zug unterwegs. Diese Freiheit bietet einen grossen Mehrwert.
Und was sind die Anforderungen an das Angebot?
Die Nutzerinnen und Nutzer wollen ein Gefühl der Sicherheit und Verlässlichkeit. Eine Mobilitätsplattform muss also sicher und verlässlich sein. Wenn die Mehrheit der Versuche, ein alternatives Angebot zu nutzen, scheitert, wird man künftig dankend darauf verzichten. Nebst einer extrem ausgeklügelten Konzeption wollen auch die Partner gut ausgewählt werden. Die Erwartung an die Qualität ist sehr hoch; ohne verlässliche Partner, wird es den Umstieg nicht geben.
Da wäre ja aber noch der Faktor Mensch. Ich habe neulich ein Sharing-Bike mit Kette verschlossen vorgefunden – jemand hat versucht, das Mietobjekt in Besitz umzuwandeln…
Ich fürchte, dass es immer Leute geben wird, die egoistisch denken und handeln. Ich bin aber recht zuversichtlich, dass punkto «Besitz» ein Umdenken stattfindet. Die neue Generation tickt da anders. Man muss auch bedenken, dass diese Sharing-Angebote eine Neuheit sind, mit der die Öffentlichkeit noch lernen muss umzugehen.
«Eine wichtige Rolle spielt dabei auch, dass die Haltestellen, der Stadtraum insgesamt angenehm sind.»
Trotzdem, wie kann sichergestellt werden, dass die Schnittstellen zwischen den einzelnen Mobilitäts-Anbietern funktionieren?
Ein leichter Wechsel von einem zum anderen Angebot bedeutet, dass sich die Angebote in der Nähe befinden müssen, also dass die Angebote auch räumlich näherrücken müssen, beispielsweise Trottinetts an den Haltestellen.
Eine wichtige Rolle spielt dabei auch, dass die Haltestellen, der Stadtraum insgesamt angenehm sind. Wir brauchen Räume, in denen wir uns in Ruhe aufhalten können, ohne dass wir das Gefühl haben, von anderen Verkehrsmitteln bedrängt zu werden. Auch das kann unser Erleben von Mobilität verbessern.
Würde das Veränderungen in der städtischen Raumplanung nach sich ziehen?
Das ist wohl leichter gesagt als getan, aber es gibt bereits sehr schöne Beispiele, in denen Zürich von Autos auf den Strassen entlastet und eine Verbesserung der Lebensqualität erreicht wurde. Strassen, in denen Fussgänger Raum gewonnen haben oder an denen neue Grünplätze entstehen konnten. Auch Eigentrassierungen spielen eine zentrale Rolle, um einen besseren ÖV und eine effizientere Mobilität zu gewährleisten.
Nach welchen Kriterien soll die Strecke auf so einer App selektiert werden können?
Der Zeitaspekt ist sicher ein wichtiges Kriterium, aber auch Komfortaspekte, zum Beispiel wie oft ich umsteigen muss oder ob man viel Gepäck mit sich führen kann. Immer mehr können auch Umweltaspekte mit einfliessen. Eigentlich ist das alles heute schon möglich. Dank einer Mobilitätsplattform stehen die Angebote aber sehr viel einfacher zur Verfügung. Damit kann beispielsweise der ÖV stärker genutzt und Transportlücken, etwa vom Bahnhof an einen schlecht erschlossenen Ort, effizient geschlossen werden.
Führt eine Mobilitätsplattform (oder generell eine Angebotsoptimierung) nicht automatisch zu noch mehr Verkehr, weil alles immer «bequemer» wird?
Das muss nicht der Fall sein, vor allem nicht, wenn dadurch Autoverkehr ersetzt werden kann. Dann haben wir zwar mehr Mobilität, aber auf eine effizientere Weise. Über alles gesehen wissen wir heute natürlich noch nicht genau, in welche Richtung sich das Verhalten der Bevölkerung ändern wird. Es ist nicht möglich, die ideale Situation am Tisch zu definieren. Es braucht Erfahrung, die man zum Beispiel über Pilotprojekte erhalten kann.
Es gibt ja aber doch bereits Beispiele aus anderen Ländern, Finnland und Australien etwa?
Die Inspiration aus Projekten in anderen Ländern ist sehr wichtig. Aber jede Stadt ist per se ein lebendiges Wesen und sehr unterschiedlich; punkto Erwartungshaltung oder sozioökomische Aspekte, also welche Tätigkeiten in der Stadt ausgeübt werden, wo und wie die Menschen wohnen, was im Freizeitverkehr passiert. Solche Faktoren haben einen grossen Einfluss. Darum sind idealerweise vorgängig die Bedürfnisse der Bevölkerung zu klären und auch zu verstehen. Ein Projekt muss auch nicht von Anfang alles abdecken.
Was sind die Voraussetzungen, dass so eine Plattform Sinn macht?
Natürlich muss die Qualität der einzelnen Angebote und die Vernetzung untereinander, der Wechsel vom einen ins andere Verkehrsmittel einwandfrei funktionieren. Dann handelt es sich quasi um ein erweitertes öffentliches Verkehrsmittelsystem. Wichtig ist dafür, dass so eine Plattform die Wettbewerbsfähigkeit fördert und alle Player mitspielen können. Gleichzeitig ist natürlich auch die Einhaltung von Vorgaben wie etwa der Barrierefreiheit ein zentraler Aspekt. Allen potenziellen Nutzerinnen und Nutzern muss die Möglichkeit offenstehen, davon zu profitieren.
Wo kommen die Infos zu den verschiedenen Angeboten und Routen überhaupt her? Google Maps kennt da ja auch nicht alles.
Wenn man sich im professionellen Bereich bewegt, gibt es immer mehr Unternehmen, die Zugang zu genaueren Quellen haben. Diese Firmen machen ihre Daten natürlich nicht öffentlich, sondern verkaufen sie für professionelle Business-Lösungen. Das wird sich noch weiter entwickeln, ich denke da an die Konzepte der Smart Cities, die durch eine breite Sensorik immer mehr Informationen über die Stadt sammeln, etwa über Stauverhältnisse oder die Verfügbarkeiten von Sharing-Systemen. Die weitere Entwicklung von Mobilitätsplattformen wird von diesen Erkenntnissen profitieren.
Gibt es einen Markt für neue Mobilitätsformen, Segway etwa, Pedalos oder fliegende Autos? Was denken Sie, erwartet uns da?
Trends und Technologie sind immer für eine Überraschung gut, auch in der Zukunft. Auch das ganze Thema der Automatisierung entwickelt sich weiter. Solche Aspekte können einen radikalen Einfluss auf unser Mobilitätsverhalten haben. Wie sich das entwickelt, hängt sehr stark von den Rahmenbedingen ab. Was wird erlaubt sein, auf was für ein System wird gesetzt? Es ist unmöglich, das heute schon vorherzusehen. Aber das Veränderungspotenzial ist enorm.
Wie tragen Sie an der ZHAW zu diesem Prozess bei?
Am Institut für Nachhaltige Entwicklung gehen wir die Fragen im Bereich «nachhaltige Transportsysteme» aus der soziotechnischen Perspektive an. Wir betrachten also, welche Technologien zur Verfügung stehen, wie diese mit der Gesellschaft interagieren, wie sie grundsätzlich das Verhalten der Leute beeinflussen, und was sich in welcher Form ändern muss, damit die Bevölkerung auf nachhaltigere Alternativen umsteigt. Ziel dabei ist, dass immer mehr Leute offen für Mobilitätslösungen werden, welche zukünftigen Generationen nicht schaden.