Auf den zweiten Blick – Interview zur Tramhaltestelle Bahnhofquai

Die Tramhaltestelle Bahnhofquai ist einer der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte der Stadt Zürich und verbindet den Hauptbahnhof, die Altstadt und das Hochschulgebiet. 2025 soll sie rundumerneuert werden. Zu diesem Zweck wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben. Gewonnen hat diesen das bekannte Zürcher Architekturbüro Joos & Mathys Architekten. Wir trafen uns mit Peter Joos in seinem Büro in Zürich Wiedikon zum Gespräch.

Das Projekt trägt den Namen «Egender». Warum ist das so?

Karl Egender war ein bekannter Zürcher Architekt, der unter anderem auch das Globus-Provisorium gebaut hat. Er hat überall in der Stadt sehr schöne Bauten aufgestellt.

Das Hochbauamt nennt die Haltestelle die «Visitenkarte Zürichs». Macht Sie das nervös?

Nein, eigentlich nicht. Jede Bauaufgabe ist in diesem Sinne für uns eine Visitenkarte. Der Städtebau funktioniert so, dass man eigentlich an jeder Ecke in der Stadt schöne Bauten erstellen sollte. Schönheit in der Architektur ist nicht verboten. Nebst allen anderen Dingen, welche die Architektur leisten muss. So betrachtet, sind wir immer etwa gleich nervös. Für uns ist klar, dass alle ein wenig hinschauen werden. Aber wir haben auch sehr gute Vorgaben von den Gebrüdern Pfister bekommen. Wir können ja dort anknüpfen und sind so nicht ganz alleine.

Was hat Sie an diesem Projekt gereizt?

Ich habe es zu Beginn schon ein wenig angetönt. Es ist sicher der Fall, dass uns diese Tramhaltestelle besonders aufgefallen ist. Beispielsweise durch die Art und Weise des Filigranen in der ganzen Konstruktion, aber auch dadurch, wie sie auf diesem Sockel steht und neben ihr die Strasse verläuft. Es ist doch schon eine ältere Haltestelle und sie sieht immer noch wie selbstverständlich aus. Sie ist nicht spektakulär, aber, wenn man genau hinschaut, sieht man, dass hier eine grosse gestalterische Raffinesse vorliegt.

Die gestalterische Raffinesse, sie wurde eingangs erwähnt, geht auf die Zürcher Architekten-Dynastie Pfister zurück. Wie geht man mit einem solchen Erbe um?

Man muss vor den Bauten, die man vorfindet, immer ein wenig Respekt haben. Das betrifft jetzt nicht nur diese Bauaufgabe. Das ist etwas, was uns bei allen unseren zu lösenden Bauaufgaben sehr wichtig ist. Wir versuchen immer, das Weiterbauen so zu gestalten, dass es am Schluss ein Ensemble gibt. Wenn man versucht, sich auf die Vorgabe des bestehenden Gebäudes einzustimmen und nicht à tout prix spektakulär zu werden, dann hat man eine gute Ausgangslage.

Aus der Sicht eines Laien sind Architekten immer auch ein bisschen Künstler. Wieviel Kunst darf oder wird in der fertigen Haltestelle stecken?

Im landläufigen Verständnis von Kunst eigentlich gar nicht so viel. Der Architekt als Künstler. Na ja, das sehe ich nicht so. Das ist manchmal auch ein wenig eine Schutzbehauptung für Lösungen, die man schlecht erklären kann. «Ich bin halt ein Künstler.» Klar braucht es eine gestalterische Fähigkeit, um so etwas entwickeln zu können. Wir haben hier das vorgegebene Objekt der Gebrüder Pfister, und so ist es dann eher Sorgfalt und Präzision, und klar, auch ein bisschen Baukunst. Man muss wissen, wie man baut, oder wie man Ziele erreichen kann. Zu wissen, wie man Materialien anwendet, damit sie am Schluss das ausstrahlen, was man will, ist sehr wichtig. Wir fühlen uns nicht als Künstler, wenn, dann eher als Kunsthandwerker.

Und die dazugehörige Anschlussfrage: Was bedeutet der Begriff «Architektur» für Sie?

Gute Architektur ist umfassend. Was soll ein Gebäude für einen Ausdruck haben? Und am Ende darf es dann auch gerne noch schön sein. Es muss gut funktionieren. Ein Wohnhaus muss einen guten Wohnwert haben, es muss technische Anforderungen erfüllen. Architektur ist für uns unser Job und dafür engagieren wir uns sehr. Aber die Architektur ist natürlich auch bildend für die ganze Bevölkerung. Man lebt ja IN der Architektur. Gute Architektur kann daher eine grosse Lebensqualität für die Bevölkerung erzielen. Insofern eine wichtige Arbeitsgattung.

Sie haben schon mehrmals den Begriff «Vorgaben» erwähnt. Wie sehen diese aus?

Die Vorgaben sind ja vielseitig. Sie kommen beispielsweise von den VBZ, in Bezug auf die Linienführung. Es müssen Vordächer angepasst werden. Dann gibt es Vorgaben im Sinne der ganzen Installation. Man baut zwischen zwei stark befahrenen Strassen. Da muss man sich auch überlegen, wie man das konstruiert und baut, und das alles immer unter Betrieb. Das sind die technischen und organisatorischen Vorgaben. Die architektonischen Vorgaben, bezogen auf Denkmalpflege – hier haben wir versucht, mit den Ausdrucksformen der Gebrüder Pfister weiter zu arbeiten. Die Träger sind aus Metall. Die haben dann beispielsweise ein Korrosionsproblem, was das Objekt in Mitleidenschaft zieht. Diesbezüglich haben wir einen Vorschlag zur Instandstellung gemacht. Für die weitere Bearbeitung oder die Erweiterung der Haltestelle werden wir Ortbetonträger nutzen.

Ortbetonträger?

Ortbeton. Dieser wird vor Ort hergestellt, es werden keine fertigen Elemente genutzt. Das hat verschiedene, unter anderem baulogistische Gründe. So muss man beispielsweise zwischen den Fahrleitungen keine sperrigen Träger versetzen. Wir versuchen aber auch, mit der Filigranität der bestehenden Haltestelle weiter zu machen. Es gibt sicher kleinere Materialänderungen, man wird aber erst auf den zweiten Blick bemerken, dass eine andere Konstruktionsweise angewendet wurde. Auch das gefällt uns, es muss nicht original nachgebaut werden, es darf interpretiert werden. Es soll nicht so plakativ sein, wir wollen im Geiste der Gebrüder Pfister bauen.

Peter Joos vor dem Modell der Tramhaltestelle Bahnhofquai.

Erst auf den zweiten Blick, haben Sie gesagt. Wenn die Haltestelle fertig ist – welche Raffinessen werden sich den Betrachtern nicht sofort erschliessen?

Die Abgänge zum Bahnhof werden überdacht. In dieser Überdachung werden beispielsweise Lampen eingebaut. Auch werden die Abgänge rundverglast. Dort kann man sicher entdecken, dass die Haltestelle moderner ist. Sonst werden wir aber in vielen Details versuchen, nahe am Original zu bleiben. Die Dächer sollen gleich schlank bleiben, die Dachränder ebenfalls. Das auffälligste Detail wird sicher die Möblierung sein, die wir für die Haltestelle entworfen haben. In solch kleinen Dingen wird sich zeigen, dass sich etwas verändert hat. Diese Detailarbeit ist noch in der Entwicklung.

Bekanntlich ist der Raum um den Hauptbahnhof nicht die freundlichste Ecke der Stadt: Wird die Haltestelle nach der Erneuerung robust genug sein?

Sicherheitsaspekte, die Verglasung betreffend, werden sicher berücksichtigt. Das Filigrane per se ist ja nicht ein Zeichen für die Zerbrechlichkeit der Materialien. Die bestehende Haltestelle hat das bereits bewiesen. Sie überdauert die Zeit ja bereits seit längerem. Nicht die Menschen haben sich hier als ein Problem erwiesen, sondern beispielsweise die Korrosion in der Konstruktion. Oder auch die starke Belastung durch Verkehr und Umwelteinflüsse. Da möchten wir schon Verbesserungen erreichen.

Zum Beispiel?

Indem wir die neuen Träger aus Beton herstellen und die bestehenden mit einem speziellen Beton ausgiessen, so werden sie stabiler. Wir wollen versuchen, die alte Haltestelle so gut wie möglich zu restaurieren beziehungsweise die neue Haltestelle in Anlehnung an die alte bauen. Das heisst, wir wollen hier sicher auch Materialverbesserungen einfliessen lassen. Aber wir haben jetzt nicht an den 1. Mai oder ähnliches gedacht. Solche Probleme kann man in der Architektur nicht lösen.

Bei einem solch bedeutenden Objekt, wird es bestimmt auch kritische Meinungen geben. Wie geht man als Architekt mit so etwas um?

Öffentliche Meinungen sind immer sehr vielfältig. Es kommt darauf an, wer diese Meinung äussert. Es gibt vielleicht Architekten, die diese Arbeit der Gebrüder Pfister aus dieser Zeit sehr schätzen. Diese finden es dann generell sehr gut, dass man die bestehende Arbeit sanft weiterentwickelt. Dann gibt es sicher Architekten, die eine andere Haltung haben. Die der Meinung sind, man müsse neu bauen, sich abheben. Diesen wird diese Arbeit nicht gefallen. So wird es auch in der breiten Bevölkerung passieren, das sind wir gewohnt. Wir nehmen ja an vielen Wettbewerben teil. Man entwickelt eine Idee, steckt viel Herzblut rein und dann gewinnt man nicht. Dazu kommt, dass man dann eine kritische Antwort zum Projekt bekommt. Man lernt, damit umzugehen. Das haut uns nicht aus den Socken.

Geplanter Baubeginn ist 2025. Vier Jahre, das ist eine lange Wartezeit. Ist das normal? Und kann es sein, dass da nochmals Zweifel am Projekt entstehen?

In die Zukunft kann ich bezüglich der Zweifel leider nicht schauen. Zum Zeithorizont – es ist eine lange Wartezeit. Das hat aber verschiedene Gründe. Einerseits müssen die Gleise neu gemacht werden, und das unter Betrieb. Es sind ausserdem drei Bauherren involviert. Das sind die VBZ, das Tiefbauamt, welches den Lead hat, und das Amt für Hochbauten. Die Gleisarbeiten und die genannten Schritte müssen zuerst erledigt werden. Der eigentliche Bau wird nicht sehr lange dauern. Man braucht aber auch einen guten Vorlauf in der Planung. Ohne die vorgelagerten Arbeiten, könnte der Prozess vielleicht ein bis zwei Jahre früher abgeschlossen werden.

Die Vorgaben der Stadt zur 2000-Watt-Gesellschaft mussten Sie selbstverständlich einhalten. Auf den Perrondächern soll eine Photovoltaik-Anlage entstehen. Inwiefern hat das Ihre Aufgabe beeinflusst oder gar erschwert?

Eine grosse Beeinflussung hat nicht stattgefunden. Die Aufgabe selbst hat für uns bereits vieles gelöst. Wie gesagt, werden die Stahlträger nachher nicht mehr verwendet. Die Betonträger sind im Unterhalt einfacher zu handhaben. Ein Grund dafür ist auch die exponierte Position des Objekts, wir mussten dauerhafte Lösungen finden und diese sind meist deckungsgleich mit den 2000-Watt-Zielen. So betrachtet, gibt es keine Hürden, die wir nicht nehmen könnten. Die Photovoltaikanlage ist auf dem Dach. Das ist eher ein ästhetisches Kriterium, uns ist es wichtig, dass diese Anlage nicht unbedingt sichtbar ist. Photovoltaik ist per se nicht ein besonders schönes Element. Aber man muss es natürlich gut anordnen und Lösungen finden, die angenehm aussehen und funktionieren. Das ist unser Job.

Letzte Frage. Was wünschen Sie sich für die fertige Haltestelle?

Dass sie genauso aussieht wie auf unseren Plänen.

Weitere Informationen

Das Zürcher Architekturbüro Joos & Mathys Architekten AG wurde 1991 von den Herren Peter Joos und Christoph Mathys gegründet. Seither haben sie viele verschiedene Bauten umgesetzt. Für die Tramhaltestelle Bahnhofquai, haben sie den Gewinnerentwurf «Egender» eingereicht. Dieser wurde zusammen mit dem Ingenieurbüro Ferrari Gartmann AG erarbeitet. Diese Symbiose funktioniere schon seit langer Zeit sehr gut und die Ferrari Gartmann AG war und ist stark an dem Projekt beteiligt. Das Ziel sei, die bestehende Arbeit der Gebrüder Pfister sanft zu restaurieren und zu erweitern. Christoph Mathys wollte ebenfalls am Gespräch teilnehmen, war aber kurzfristig verhindert.Mehr Informationen darüber gibt es in der Medienmitteilung des Hochbaudepartements vom 28. Januar 2021. 

Bildquelle: Joos & Mathys Architekten

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