Im Zeitgeist des Sharings wird auch die Waschküchenordnung weichgespült. War früher die ordnungsgemässe Übergabe des Waschküchenschlüssels Symbol gesellschaftlicher Rechtschaffenheit, gilt heute der freie Zugang zur dampfenden Cloud der Waschküche.
«Der Waschküchenschlüssel hat Bedeutung, über seine blosse Funktion hinaus, eine Tür zu öffnen; er ist ein Schlüssel für demokratisches Verhalten und ordnungsgerechte Gesinnung». So schrieb es Hugo Loetscher anno 1983 in seiner Geschichte «Der Waschküchenschlüssel».
Nun, die Zeiten haben sich geändert. Grell reizt die Demokratie Auge und Gehör: Politiker singen oder zeigen sich auf dem Klo, nur um auf Youtube geteilt zu werden. Da wird nichts abgeschlossen, höchstens einer abgeschossen, nämlich dann, wenn er im Sharing-Taumel sein Ganzkörper-Bildli teilt – schlussendlich mit der ganzen Schweiz… In den Kommentarspalten der Zeitungen wäscht der ordnungsliebende Bürger schmutzige Wäsche. Selbst der einst heilige Besitz – mein Auto, mein Boot, mein Haus – werden auf Sharing-Plattformen an Interessenten mit sauberer Weste feilgeboten.
«In den Kommentarspalten der Zeitungen wäscht der ordnungsliebende Bürger schmutzige Wäsche.»
Sharing: Alles, was man selbst gerade nicht braucht. Oder?
Von dieser Entwicklung freilich bleibt auch die Waschküche nicht verschont. Open access, open laundry: Wer braucht schon Schlüssel? Also gestaltet sich der Waschtag in unserem Hause nach dem Guerilla-Prinzip. Drei Waschküchen gibt es, eine steht den Berufstätigen offen: First come, first serve. Für die anderen beiden Maschinen existiert ein Plan – alle 1,5 Monate kommt man einen Tag lang zum Handkuss. Das bedeutet im Klartext: Hier wäscht ebenfalls jeder nach Herzenslust, wenn auch irgendwie illegal. Grauzonen gehören zum Alltag, und in der Waschküche haben wir einen Persilschein.
Selbstverständlich, auch ich tue es. Wenngleich ich mich nicht so recht wohlfühle, ich bin halt innerlich noch ein Schlüsselkind. Auf leisen Sohlen schleich ich mich herein, blicke mich um. Niemand da, die Luft ist rein. Schnell breite ich meine Ware aus, bevor jemand kommt, der seine Nutzungsrechte anmelden könnte. Es sind drei grosse Haufen, also viel Material. Ich öffne leise die Luke, stopfe die erste Ladung hinein. Husch, husch, weiter, die zweite Fuhre. Ich weiss, die Sache ist nicht ganz sauber, aber jetzt gibt es kein Zurück mehr. Die Maschinerie ist angelaufen, nimmt ihren (Wasch-)Gang. Es wird nur eine halbe Stunde dauern. Eh mich jemand erwischt, ist das Geschäft erledigt. Hoffe ich.
Sharing zum Zweiten: Das Teilen von Emotionen
Ich ziehe beschwingt weiter, bereit, auch noch die dritte Maschine zu erobern, um den Socken ihr verdientes Schaumbad zu ermöglichen. Dort aber zieht bereits fremde Wäsche ihre Runden, ein leises Brummen erfüllt den Raum. Urplötzlich, wie ein Donnerschlag, zerreisst wüstes Gefluche die Stille. Das Klappern entschlossener Schritte kommt mir entgegen. Herrjeh, ein Follower. Ich erstarre, halte den Atem an: Wer immer sich hier nähert, wünscht die Waschküche offensichtlich nicht zu teilen. In der Türe erscheint eine Dame mittleren Alters mit geröteten Wangen, passend zur Farbe der Augen. Die bleiche Dauerwelle steht ihr vom Kopf ab, als stünde sie unter Strom, und so geladen sind auch die Blicke, die sie mir jetzt entgegenschleudert. Es täte mich nicht wundern, käme die Faust gleich hinterher. «Ich bin da noni fertig», bellt sie mit Raucherstimme. «Kei Problem», flöte ich, «ich chum denn spöter wieder». Sag’s, und mach mich flugs vom Acker.
Herrjeh, ein Follower.
Beim Hinausgehen will ich’s dann trotzdem wissen und lass meinen Blick über den Waschplan gleiten. Wann wär denn eigentlich mein Tag? Ach ja. Heute. Kein Problem – man teilt doch gerne. Trotzdem muss ich bei Gelegenheit wohl mal den Abwart fragen, was er von einem Wasch-Doodle hält.
Wollen Sie mehr erfahren über das Teilen? Hier gehts zum Dossierunseres Fokusthemas.