«Wenn Zürich etwas macht, funktioniert es»

Vom 21. bis 29. September hat das Velo für einmal Vortritt vor den Trams und Bussen der VBZ – zumindest auf den Rennstrecken der UCI Rad- und Para-Cycling-Strassen-Weltmeisterschaften Zürich 2024. Besonders nah am Geschehen wird der ehemalige Spitzenfahrer Sven Montgomery sein, der die Rennen der Rad-Weltmeisterschaft als Radsportexperte für Schweizer Radio und Fernsehen analysiert.

Titelbild: SRF/Severin Nowacki

Die Stadt Zürich ist nach langer Zeit wieder mal Gastgeberin eines internationalen Sportgrossanlasses – nämlich der UCI Rad- und Para-Cycling-Strassen-Weltmeisterschaften 2024.

Während 53 Rennen messen sich Radprofis aus der ganzen Welt in neun verschiedenen Kategorien. Erstmals an der offiziellen Rad-WM mit dabei sind diesmal die Para-Cyclerinnen und -Cycler sowie die Juniorinnen und Junioren.

Der frühere Schweizer Radrennfahrer Sven Montgomery, der von 1998 bis 2006 als Profi bei so renommierten Teams wie Française des Jeux, Fasso Bortolo und Team Geroldsteiner fuhr und viermal an der Tour de France teilnahm, wird die Rad-WM gemeinsam mit Moderationskollegen bei SRF begleiten.

Der zweifache Familienvater hat uns in einem Gespräch erzählt, was diese Rad-Weltmeisterschaft in Zürich aus seiner Sicht bedeutet, wen er als Topfavoriten einschätzt und wie man sich darauf vorbereitet, solche WM-Rennen zu kommentieren.

Zürich trägt zum bereits vierten Mal die Rad-WM aus. Gibt es andere Städte, die ähnlich oft zu dieser Ehre kamen?

Meines Wissens kam auch Verona im Jahr 1999 zum Handkuss und dann im 2004 gleich nochmal. Es handelt sich da aber um einen Zufall, ebenso wie im Fall von Zürich. Dessen Gastgeberrollen in den Jahren 1923, 1929 und 1946 sind ja auch schon eine Weile her.

Sie sagen, es handelt sich um einen Zufall?

Die UCI muss schlussendlich einen guten Ausrichter finden. Für die gastgebende Stadt wiederum bedeutet so eine Weltmeisterschaft einen riesigen Aufwand, der gestemmt werden muss.  Das ist nicht immer einfach. Deshalb gibt es manchmal mehrere, manchmal aber auch nur einen Bewerber. Massgebend sind die Auswahlkriterien und nicht, ob eine Stadt bereits Austragungsort war.

Was macht denn Zürich – offensichtlich – für die Veranstalter attraktiv als Austragungsort?

Das Gesamtpaket muss stimmen. Dazu gehören eine gute Streckenführung, finanzielle Sicherheit, ein gutes Rahmenprogramm, ebenso aber auch der Rückhalt durch die Stadt und deren Bevölkerung.

Und das hat Zürich geliefert…

Zürich hat einen guten Ruf. Man weiss, wenn Zürich etwas macht, funktioniert es. In einem ersten Schritt jedoch hatte Swiss Cycling, bei der ich damals angestellt war, dafür gesorgt, dass die WM in die Schweiz kommt. Daraufhin bewarb sich unter anderem Zürich, ebenso Bern. Letztlich hat Zürich das Rennen gemacht.

Buchstäblich. Worin bestehen die grössten Herausforderungen, eine solche Rad-Weltmeisterschaft in der grössten Stadt der Schweiz zu organisieren?

Ich stelle mir vor, dass der Prozess recht mühsam sein muss, bis die gesamte Strecke feststeht. Auch in Zürich gab es viele Einsprachen. Diese müssen bearbeitet werden. Jede Gemeinde muss ihr OK geben. Sicherheitsstandards müssen erfüllt sein, auch die UCI, also der internationale Radsport-Verband, setzt Standards: Etwa, wie eine Zielgerade auszusehen hat, wie lang und wie breit die Strasse sein muss.

Die Schweizer haben traditionellerweise keine sehr schnellen Sprinter, also muss die Strecke kupiert sein, heisst: bergig.

Sven Montgomery, Radsport-Experte
Wie lange dauert so ein Prozess?

((überlegt)) Die Medienmitteilung darüber, dass eine Rad-WM stattfindet, wurde am 14. März 2019 versandt. Am 6. Oktober 2023 waren schliesslich alle Einsprachen vom Tisch. Es dauerte also rund vier Jahre.

Zurück zu den Auswahlkriterien: Die Topografie einer Stadt spielt keine Rolle?

Im Jahr 2016 fand die Rad-Weltmeisterschaft in Doha statt, dort ist es topfeben. Natürlich gibt es bestimmte Parameter, wie eben etwa die Breite der Zielgeraden, aber die Strecke selber kann höchst unterschiedlich aussehen. Vorgegeben ist allerdings eine Distanz bei den Herren zwischen 250 und 280 Kilometern sowie bei den Frauen zwischen 130 bis 160 Kilometern. Die Topografie ist dem Organisator überlassen. Wenn er schlau ist, gestaltet er die Strecke so, dass sie möglichst den einheimischen Fahrern entgegenkommt.

Und ist das in Zürich so?

Die Strecke fürs Zeitfahren wurde mit Sicherheit auf Stefan Küng als Spezialist gegen die Uhr* zugeschnitten. Ebenso hat man gewiss versucht, das Massenstartrennen** auf Marc Hirschi zuzuschneiden. Die Schweizer haben traditionellerweise keine sehr schnellen Sprinter, also muss die Strecke kupiert sein, heisst: bergig.

Mit Ihrem Wissen des langjährigen Experten gesprochen – welches sind die Topfavoritinnen und -favoriten auf den WM-Titel auf dieser Zürcher Rundstrecke bei den Profis?

Wer genau startet, wird erst wenige Tage vor dem Rennen klar sein. Unter normalen Umständen darf man davon ausgehen, dass Tadej Pogacar oder Remco Evenepoel die ganz grossen Favoriten sind, bei den Frauen sind Demi Vollering und Lotte Kopecky zu nennen ((weitere siehe Box)).

Favoriten Massenstart und Zeitfahren Elite Männer und Frauen

Männer Massenstart
Tadej Pogačar
Remco Evenepoel
Marc Hirschi = Schweizerhoffnung

Frauen Massenstart
Demi Vollering
Lotte Kopecky
Elise Chabbey = Schweizer Hoffnung. 

Herren Zeitfahren
Remco Evenepoel
Filippo Ganna
Joshua Tarling
Stefan Küng und Stefan Bisseger = Schweizer Hoffnung

Frauen Zeitfahren
Chloé Dygert
Ellen van Dijk
Elena Hartmann = Schweizer Hoffnung
Wie bereitet man sich eigentlich als TV-Kommentator auf eine solche WM vor?

Ich lese tagtäglich mehr oder weniger alle Radsportnachrichten, um möglichst alles zu wissen: Ob ein Stefan Küng gut geschlafen hat, oder ob er noch Husten hatte und vielleicht das «Bébé in der Nacht grännet hett». Wissen ist entscheidend, wenn man sach- und fachgerecht kommentieren will.

Sven Montgomery, SRF-Radexperte (Copyright: SRF/Thomas Züger)
Sie haben natürlich auch viel eigene Erfahrung…

Das ist so, aber wenn man immer nur aus der Vergangenheit berichtet, geht das dem Publikum irgendwann auf den Wecker. Man muss möglichst auch Aktuelles erzählen. Darum bin ich permanent alles am Aufschnappen. Ich schaue auch jene wichtigen Velorennen, die ich nicht kommentiere, damit ich mich dann auf diese beziehen kann. Es gibt ja auch viele «tote Phasen» während des Rennens, da ist es gut, wenn man ein paar Themen vorbereitet hat, über die man etwas erzählen kann.

Sicher würden Sie sich auch die wichtigen Rennen ansehen, wenn Sie kein Radsport-Kommentator wären?

Auf jeden Fall. Einerseits ist es Arbeit, andererseits auch ein Vergnügen. Das ist immer toll, wenn ich am Fernsehen bin und meiner Frau sagen kann, «Schatz, ich bin am Arbeiten» ((schmunzelt)).

Zurück zur Rad-WM in Zürich: Verursacht die Tatsache, dass die WM-Rennen in der Heimat stattfinden, bei Ihnen eine besondere Freude, einen speziellen Nervenkitzel? Oder ist das nach so vielen Jahren eh alles reine Routine?

Das ist definitiv ein Kick, darauf freue ich mich sehr. Es ist auch deshalb speziell, weil ich normalerweise die WM gar nicht kommentieren würde. David Loosli ist bei der Rad-WM Rennleiter und kann somit nicht selber kommentieren, deswegen komme ich zum Handkuss. Das ist schon etwas ganz Besonderes, wenn man als Schweizer Kommentator eine Rad-Weltmeisterschaft im eigenen Land kommentieren darf. Für mich ist das ist ein Highlight in meiner Kommentatoren-Karriere.

* Einzelzeitfahren
** Strassenrennen

Das Interview hat im August 2024 stattgefunden.

So kommen Sie zur Rad-WM

Vom 21. bis 29. September 2024 findet die Rad-WM statt. Die über 50 Rennen werden in der Stadt und in der Region Zürich durchgeführt und enden immer am Sechseläutenplatz. 
Alle Details zur Situation und den Einschränkungen im öffentlichen Verkehr finden Sie auf der ZVV-Webseite. Für Ihre Reiseplanung empfehlen wir Ihnen, den Online-Fahrplan zu verwenden. Für eine Beratung zum öffentlichen Verkehr gelangen Sie an die ÖV-Helpline +41 44 411 51 49, täglich erreichbar von 6 - 22 Uhr. 


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