Grosses Kino im Minitheater

Der Name «Hannibal» steht für einen, der mit Elefanten die Alpen überquert. Auch Andrea Fischer Schulthess und Adrian Schulthess aka «Minitheater Hannibal» schrecken vor ungewöhnlichen Wegen nicht zurück. Als mutige «Hänsel und Gretel» und Märchen-Performer bringen sie ihre Vielseitigkeit am Züri-Fäscht ins Lebkuchenha… pardon, in den Stand der VBZ.

Stellen Sie sich vor, Sie kämen nach Hause und schildern, wie eben am Central eine Kombi aus Esel, Hund, Katze und Hahn auf einem e-Trotti an Ihnen vorbeigedüst sei. Was erhalten Sie zur Antwort? «Verzell kei Märli!» – gemeint als Rüge, keine wilden Geschichten zu erfinden. Dabei sind Märchen beileibe kein Seemannsgarn. Sie seien vielmehr «ein Trägersubstrat, um sich Geschichten über das Menschsein zu erzählen», stellt Andrea Fischer Schulthess klar, und meint das trotz des schelmischen Schmunzelns ernst.

Sie und ihr Ehepartner Adrian Schulthess sind das «Minitheater Hannibal», von Berufs wegen «Märchenerzähler*innen». Wobei das Wort «erzählen» in diesem Zusammenhang nicht wirklich treffend ist. Die temperamentvolle, oft improvisierte Darbietung des Paars ist in Tat und Wahrheit eine Performance. Das muss so sein: «Wenn früher einer nach erfolgreicher Jagd im Dorf die Kunde vom Angriff eines Wolfs ablegte, rezitierte er gewiss nicht stoisch die Faktenlage – viel eher wird er wild gestikulierend und grimassierend veranschaulicht haben, welch unglaublich grosser, böser Wolf das war», kommentiert Fischer Schulthess.

Eine fürchterliche Geschichte und die Botschaft dahinter

Mitunter arbeitet das Duo unter erschwerten Bedingungen, etwa einem fahrenden Tram, dem «Trampunzel». In dem anno 2015 inszenierten Angebot für junge Fahrgäste ging es nicht etwa um eine Prinzessin, die im Turmwagen ihre Fahrleitung herunterlässt, sondern vorab um ein grimmiges Rumpelstilzchen. Gerumpelt hat es denn auch im Tram, als das Stilzchen – ratzdefatz! – durchs Fahrzeug polterte. Das «Minitheater Hannibal» ist punkto ÖV also Härtetest erprobt. Und Adrian Schulthess legt noch eine Schippe drauf: Er sei nämlich aus einem, durch eine Verkettung widriger Umstände herrenlos rollenden Bus gesprungen. Zwar glaube ihm diese Geschichte kein Mensch («verzell kei Määrli!»), und doch sei sie die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.

Jedenfalls sorgte das abscheulich liebenswerte Rumpelstilzchen bei den Kindern für allergrösstes Vergnügen. Aktuell fühlt sich das Paar allerdings mehr von «Hänsel und Gretel» bewegt. «Das ist so eine schlimme Geschichte. Nicht wegen der Hexe, sondern wegen der Eltern! Stell dir vor, du liegst im Bett und hörst deine Eltern besprechen, wie sie dich in den Wald abschieben wollen», entsetzt sich die Thriller-Autorin, «und am nächsten Morgen flöten Sie: Haaallooo, chömed, mir göhnd.» Der Wert der Geschichte, meint der zweifache Vater, liege darin, dass sich Kinder mit den Helden der Story identifizieren. Die Botschaft sei in diesem Falle, dass sich auch eine garstige Hexe überlisten lässt, so man sich wehrt und nicht blauäugig jeden Mumpitz mitmacht, zu dem man aufgefordert wird.

Auch die hauseigene Geschichte des «Minitheater Hannibal» bietet so eine Botschaft. Nämlich jene, sich auf seinem Lebensweg immer wieder neu inspirieren zu lassen. Wie so etwas aussehen kann, zeigt sich, wenn wir zurück in die Vergangenheit reisen und ein paar Schritte mit dem «Minitheater Hannibal» mitgehen…

Tanzender Velomech und wortgewandte Zoologin finden sich

Ein Sommer im Camp des berühmten Clowns Dimitri kann die Weichen des Lebens stellen. Adrian Schulthess packte diese Erfahrung derart, dass er nach der Matura an der Accademia Teatro Dimitri in die dreijährige Ausbildung zum «Bachelor of Arts in Theatre» einstieg. Er wurde Tänzer – und später Velomech. Ersteres, weil er es liebte, und Zweiteres, ja genau, weil er es liebte. So lernte er einerseits die Bühnen dieser Welt kennen und schraubte als «Chef ohne Ausbildung» (wie ihn ein Angestellter liebevoll neckte), in einer städtischen Werkstatt an Zweirädern herum. Die Neckerei blieb übrigens nicht wirkungslos: «Ich liess mich davon motivieren und drückte, mit inzwischen 28 Lenzen, nochmals zusammen mit den 18-jährigen die Schulbank», berichtet er amüsiert. Heute sorgt Schulthess auf der Bühne, als böser Wolf bis hin zum spontan inszenierten Buchsbaum, für Heiterkeit – und mixt im Millers Theater seit vier Jahren als Barchef feine Drinks.

Ein gutes Händchen im Mixen brauchte auch Andrea Fischer Schulthess in ihrem Erstjob nach dem Abschluss des Zoologiestudiums in der «Safari-Bar». Ob sie dort dem Ruf der echten Wildnis erlag? Schon ihr Studium jedenfalls bescherte ihre eine tierische Fülle an Erlebnissen – vom hungrigen Hirsch, der sie im Tierpark Goldau zur Fütterungszeit mit seinem imposanten Geweih zu bedrängen pflegte bis hin zu Elefanten und Raubkatzen im Zoo, wo sie Führungen machen durfte. Diese, aber auch ihre Erfahrungen als Biologielehrerin (nach der Bar) wollten als Geschichten Gestalt annehmen. Weswegen sie sich an der «Ringier Journalistenschule» zur Journalistin weiterbildete und später nach der Geburt zweier Kinder nicht nur Leser*innen sondern auch eifrige Zuhörer*innen für die vielen Geschichten in Alltag und Büchern fand. Seit vier Jahren ist Fischer Schulthess die künstlerische Leiterin des Millers – und schreibt nebst Auftritten mit dem «Minitheater Hannibal» und Moderationen an ihrem zweiten Roman. Aktuell erarbeitet sie für das Millers eine eigene Show, das «Madame Phishères Boudoir Bizzzarre», eine Mischung aus Satire, Talkshow sowie Drag- und Burlesque-Acts. Madame Phishère sei «eine schrullige, böszüngige, überschminkte ältere Diva. Also ich selber, einfach potenziert», erklärt Fischer Schulthess und grinst vergnügt. Adrian Schulthess wird dabei natürlich wie immer auch eine Rolle spielen.

Die Mixtur Fischer und Schulthess hat also so einiges hervorgebracht: Inspiration. Eine Ehe. Theaterstücke wie zuletzt den «Tanz auf dem Vulkan» und «Die rote ZoRRa». Den Benefizverein «Herz und Kohle» für Menschen auf der Flucht. Kindertheater. Bissige Märchen für Erwachsene. Noch mehr Kindertheater – und zwei mittlerweile erwachsene Kinder.

Unter anderem sieht man die beiden vom 7. bis 9. Juli einmal täglich am Züri-Fäscht. Sie wagen nämlich nochmals den Sprung in den ÖV: am Stand der VBZ. Wer dort wen genau frisst, ob Hänsel und Gretel in einem herrenlos rollenden Bus ins Lebkuchenhaus krachen oder ob ein böser Wolf mit Schlafhaube behauptet, Madame Phishère zu sein – finden Sie es am besten selbst heraus. Für 4 bis 104-jährige Zuschauer*innen.

Die VBZ am Züri-Fäscht

Das Programm der VBZ am Züri-Fäscht ist vielseitig und bunt. Nebst dem «Minitheater Hannibal» tritt auch das Impro-Theater «Anundpfirsich» auf. In der «Werkstatt» krempeln Sie selbst die Ärmel hoch und legen Hand an. Alle Infos dazu finden Sie unter vbz.ch/zuerifaescht

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