Die neue Limmattalbahn und ein besseres Busangebot: Per 11. Dezember 2022 bewegt sich einiges im Limmattal. Auf diesen Anlass hin stellen wir in einer Mini-Serie Persönlichkeiten vor, die im Limmattal ebenfalls etwas bewegen. Heute: Oli Zemp, Partner des Brausyndikats in Dietikon.
«Eigentlich war unsere Idee der blanke Wahnsinn.» Das äusserte Oli Zemp Ende 2012 gegenüber zwei NZZ-Journalisten. Und obwohl es bloss in der Zeitung stand, konnte man die Leidenschaft spüren, die in der Aussage mitschwang. Es ging damals um Rock’n’Roll als Lebensgefühl und als Soundkulisse. Oder konkreter: Um den leicht wehmütigen Rückblick auf den kleinen, aber grossartigen Abart Music Club in Wiedikon.
Ein Club, dessen Geschichte noch immer verrückt anmutet. Sie beginnt Ende der 1990er-Jahre, als Oli Zemp und sein damaliger Geschäftspartner und Kumpel Christian Gremelmayr als musikverrückte Twentysomethings keck «All in» gingen. Sprich im Erdgeschoss eines 200 Meter vom heutigen Sihlcity-Areal entfernten Bürohauses Geld verbauten, das sie nicht hatten. Und die danach mit feinem Gespür, aber auch mit gutem Geschäftssinn, unbekannte junge Bands wie Muse oder Franz Ferdinand in den Club lotsten, die heute Fussballstadien füllen. Oder DJs buchten, die – der totale Anachronismus und gerade deshalb der totale Triumph – Rock-Ekstase zelebrierten, als gäbs kein Morgen mehr. Und die es mit immer wieder neuen innovativen Ideen, engagierten Mitarbeitenden und einem begeisterungsfähigen Stammpublikum schafften, das einst schmucklose Bürohaus-Erdgeschoss binnen knapp 15 Jahren in eine Art «Hall of Fame» zu verwandeln – gewisse Irrungen und Wirrungen in der Anfangszeit inbegriffen.
Als 2012 der Rekurs der Abart-Betreiber gegen die Areal-Überbauung neben dem Bahnhof Giesshübel abgelehnt wurde, wodurch der Bauherrschaft exklusive Wohnungen direkt vor dem Eingang des Clubs ermöglicht wurden, hörten die beiden Ende Dezember 2012 auf. Christian Gremelmayr blieb dem Metier treu und gründete die Konzertagentur Mainland Music. Oli Zemp jedoch war von der dauernden Intensität erschöpft. «Und als mich junge Gäste eines Nachts mit ‹Sie› ansprachen, wusste ich, dass es nun gut ist», gestand er dem «Tages-Anzeiger» später mit einem Grinsen im Gesicht.
Da haben sich drei gefunden
Er kehrte der Musikbranche den Rücken, um wieder Musikfan sein zu können. Aber auch, um sich nach dem Abenteuer Abart in nachhaltig ruhigere Gefilde zu begeben. Also nahm er eine Auszeit, erlernte später das Kaffeerösten, versuchte sich als Innendekorateur. Viele Projekte, aber kein Job, «halt nichts Richtiges», wie er lakonisch sagt. Ein solcher Weg mag interessant und aufregend sein, doch er verschlingt die Ersparnisse schneller als ein hungriger Affe seine Banane (der Vergleich mag an dieser Stelle erstaunen, er wird aber später einen gewissen Sinn ergeben).
Dann lernt er Stephan Györi und Philip Bolleter kennen. Ersterer ist ein Tausendsassa im besten Sinne. Er amtete früher als Teilhaber im Wiediker Traditionslokal Hermanseck, er fährt Tram für die VBZ – und zusammen mit Bolleter, der sich ums technische Knowhow kümmert, braut er Bier. Es ist wenig und fast exklusiv für den Offenausschank der Hermanseck-Gäste gedacht und gemacht.
Doch das Gebräu schmeckt, und weil Györi und Bolleter mehr und mehr Gefallen an der Sache finden, gründen sie 2015 das Brausyndikat. Mit dem Ziel, im Bereich des Craft Brewings, wo die Produktionsmengen klein sind und das innovative Handwerk im Vordergrund stehen, Fuss zu fassen. Was den Beiden noch fehlt, ist ein begnadeter, gut vernetzter Verkäufer, kurz: Ein Kerl wie Oli Zemp.
Auch wenn er das am Telefon wörtlich nicht sagt, ist sie im Gespräch sehr wohl zu spüren – also die Tatsache, dass Zemp, der es ja eigentlich gern ein bisschen ruhiger gehabt hätte, längst wieder dieses heilige «eigentlich war unsere Idee der blanke Wahnsinn»-Feuer in sich trägt.
Man spürt es, weil er heute über die hauseigene Braukunst – fix zum Sortiment gehören ein Pale Ale, ein Red Ale, ein IPA und ein «Draft» genanntes Lagerbier, dazu kommen, stets in beschränkter Auflage, saisonale Erzeugnisse – mit der gleichen ansteckenden Begeisterung schwärmt, mit der er früher im Abart über Drum-Solos, Gitarren-Riffs und durchgeknallte Sänger schwärmte. Man spürt es auch im Stolz, mit dem er berichtet, wie sie – vom eigenen Wachstum beinahe ein wenig überrumpelt –, vor ein paar Jahren die erste Brauanlange hätten verkaufen und sich eine neue, potentere zulegen müssen. Und man spürt es ebenso, wenn er bis zum letzten Gewürz ausschmückt, wir er gemeinsam mit Braumeister Györi an neuen Sorten tüftelt … wozu manchmal auch ein kleiner Hahnenkampf gehöre, wer nun geschmacklich richtiger liege, wie er lachend gesteht.
Zu den Kunden gehören sowohl die Kreis-4-Bar wie auch die Edel-Brasserie
Vor allem aber spürt beziehungsweise erkennt man es an den beachtlichen Erfolgen, welche die Dietiker Kleinbrauerei mit dem markanten Affenkopf-Logo – voilà, deshalb der vorherige Bananenvergleich – hat erzielen können. Und das eben auch im letztlich matchentscheidenden Bereich des Marketings und Vertriebs, den der ehemalige Clubbetreiber verantwortet. So sind die Biersyndikat-Produkte heute zwischen Baden, Bern, Glarus, Oberrieden, Samedan, St. Gallen Winterthur und Zürich in über 50 Bars, Musik- und Nightclubs oder Restaurants präsent; darunter so illustre Adressen wie das Hive, die angesagte Gamper Bar im Kreis 4, das Kraftfeld, das edle Eden au Lac oder das Tibits. Würde man es plakativ formulieren, könnte man sagen: Im Abart lieferte Oli Zemp den Rock’n’Roll zum Bier – heute indes liefert er das Bier zum Rock’n’Roll.
Ein anderer essenzieller Faktor ist der 2019 eröffnete TapRoom. Sein industrielles Retrodesign passt zum zeitgeistigen Betrieb, vor allem aber bietet er jeweils am Dienstag und Donnerstag die Möglichkeit, bis zu neun verschiedenen Kreationen im Offenausschank zu degustieren – oder das direkt ab Brauerei zu beziehen.
Darüber hinaus wurde unlängst ein Onlineshop eingerichtet, in dem es neben den Bieren auch coole Merchandise-Produkte wie Beenies, Hoodies, Pint-Gläser und neuerdings, passend zur kalten Jahreszeit, auch ein Pale-Ale-Fondue zu kaufen gibt. Und für die wahren Bier-Aficionadas und -Aficionados werden auch Führungen und hauseigene Braukurse angeboten.
Der grosse Auftritt am Eröffnungsfest
Dennoch seien sie noch lange nicht da, wo sie gern hinwollen, sagt Oli Zemp. «Unser organisches Wachstum soll weitergehen, es wäre schön, wenn wir dereinst von dieser tollen Arbeit leben könnten, das ist heute noch nicht der Fall.» Bei der Frage, ob der grossstadtferne Standort Limmattal für dieses ambitionierte Ziel nicht eher ein Handicap sei, muss der 48-Jährige lachen. Früher, sagt er, hätte er diese Aussage wohl auf der Stelle unterschrieben. Heute jedoch sehe er das ganz anders. «Die hiesigen Behörden und Politiker schauen zu ihrem Gewerbe. Vieles hier draussen kann unkompliziert bewerkstelligt werden, es ist generell kein Gegen-, sondern ein Miteinander – und das selbst unter Konkurrenten.»
Zudem – und damit schwenken wir elegant in die Kehre zum letzten Thema ein – komme jetzt ja im Hinblick auf den Fahrplanwechsel am 11. Dezember als weiteres Plus noch die fertig gebaute Limmattalbahn und das ausgebaute Busnetz hinzu. Für den obligaten Festakt, der am kommenden Samstag stattfindet, hat das Brausyndikat den schönen Auftrag erhalten, das gesamten Getränke-Catering zu organisieren. Und weil die Besucherinnen und Besucher bestimmt nicht nur Bier trinken möchten, hat man – ein Beispiel für das erwähnte Miteinander – andere lokale Produzenten an Bord geholt.
Wärs das? Der Bierspezialist lacht durchs Telefon. «Ich denke, das wärs. Jedenfalls fürs Erste. Doch es gibt bestimmt bald mehr und Neues zu berichten.» Es ist offensichtlich: Die angepeilte Suche nach den «ruhigeren Gefilde» hat Oli Zemp auf ein unbestimmtes Datum verschoben.
Eröffnungsfest Limmattalbahn, Samstag, 10. Dezember, 12 bis 20 Uhr, Depot Limmattalbahn in Dietikon. Programm: Eröffnungsfest Limmattal
Der Limmattaler ÖV ab 11. Dezember 2022
Am Fahrplanwechsel bricht eine neue Ära für das Limmattal an: die Einführung der Limmattalbahn. Auch auf dem Busnetz wird einiges umgekrempelt. Was genau, erfahren Sie unter vbz.ch/limmattal