Vor 50 Jahren entstand die «Aktion Pro Sächsitram» aus einer Gruppe engagierter Jugendlicher heraus. Der damals 15-jährige Mitinitiant Rolf Martin Bergmaier blickt mit uns zurück auf Kondukteure und quietschende Kurven, Schoggi und Goldvreneli.
Man schrieb den 9. Oktober 1906, als zum allerersten Mal ein Tram mit einer schwarzen Sechs auf gelbem Grund durch Zürich ratterte – präziser gesagt vom Hauptbahnhof bis zur Station ETH/Universitätsspital. Das «Sächsitram» ist also gewissermassen ein Küken im Ahnenkult der ÖV-Vehikel, die heuer mit einem 175-Jahr-Jubiläum gefeiert werden. Den Auftakt für den öffentlichen Verkehr machte 1845 nämlich eine Bahn, genauer gesagt die «Spanisch-Brötli-Bahn» zwischen Zürich und Baden (deren Name darauf zurückzuführen ist, dass sich die betuchteren Zürcherinnen und Zürcher Brötli bei einem über die Kantonsgrenzen hinaus hochgelobten Badener Bäcker holen liessen), 37 Jahre bevor das erste Pferd mit Wagen im Schlepptau durch Zürich trabte.
Heute geht es aber dennoch um besagtes «Sächsitram», das von einem eigenen Verein liebevoll umhegt und gepflegt wird, und dies nun schon seit 50 Jahren. Die Entstehung dieses Vereins, der «Aktion Pro Sächsitram», wird am 21./22. Mai 2022 auf dem Festplatz beim Zoo gefeiert. Es ist denn auch eine ganz besondere Liebesgeschichte, die unsere Stadt mit den rustikalen Oldtimern verbindet. Eine, die zu Beginn der 70er-Jahre Fahrt aufnahm. Dann nämlich, als eben dieses Tram eigentlich in Rente hätte gehen sollen, da modernere Nachfahren (wie die Mirage) die steile Strecke zum Zoo übernommen hatten. Doch es kam anders – statt irgendwo zu verstauben, stand dem Sächsitram eine buchstäblich goldene Zukunft bevor.
Die Helden des Sächsitrams: eine Gruppe Schüler aus dem Quartier
Diese Zukunft begann am 7. Juli 1972. Der schöne Sommertag war prädestiniert für das muntere Volksfest, mit dem man die Mirage willkommen hiess und das Sächsitram verabschiedete. Dazu wurde ein Fahrzeug von einer Gruppe Schüler aus dem Quartier mit Farbe verziert, einem zweiten kurzerhand ein goldener Anstrich verliehen. Mit dabei: Der damals 15-jährige Rolf Martin Bergmaier.
Doch diese pfiffigen Schüler – sie würden, was sie zu dem Zeitpunkt noch nicht wussten, ein gutes Jahrzehnt später den Verein «Aktion pro Sächsitram» gründen – hatten einen Geheimplan ausgeheckt: Nämlich eine Rettungsaktion für den «Sechser».
An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, was denn diese Teenager antrieb, sich für eine alte Dame mit zwei Achsen so ins Zeug zu legen: «Es war eine Umbruchzeit», sinniert Bergmaier: «Die Tram-Schleife im alten Dorfkern von Fluntern läutete eine neue Zeit ein. Sie trennte das denkmalgeschützte Haus am Vorderberg von der Kirche. Es fühlte sich an, als würde das Dörfliche, die Quartierbezogenheit gespalten.» Diese Vergangenheit lebendig zu erhalten, war denn auch das Ziel, das die einstigen Jungs und heutigen Männer (und Frauen) antrieb und heute noch antreibt. Nicht statisch, sondern als mehrsinnliches Erlebnis, betont Bergmaier: «Auf den Fahrten im Sächsitram gibt es einen Kondukteur in Original-Uniform der damaligen Zeit. Hinzukommen Gerüche – das Holz im Tram duftet ganz anders als Plastik –, die Akustik quietschender Kurven und das Licht. Es ist eine analoge, physische Erfahrung, die damalige Zeit wird erlebbar».
Aber kommen wir zum ersten Teil der Rettungsaktion: Die Schüler sammelten Unterschriften und wurden beim Stadtpräsidenten vorstellig. Ohne Erfolg. Im zweiten Teil kreierten die Schüler einen Kleber mit der Aufschrift «Aktion Pro Sächsitram» und überredeten den Quartier-Bäcker, «Schöggeli» zu kredenzen. Zu guter Letzt die «klassische» Vorgehensweise: Die Schüler standen an den Haltestellen und boten besagte Schoggi wie auch das «Abziehbildli» feil. Und das offenkundig mit reissendem Absatz, denn: «Wir haben den damaligen Direktor der VBZ, Werner Latscha, dazu gebracht, einen Sack mit 200 Fünflibern anzunehmen», erinnert sich Bergmaier heute amüsiert. Die VBZ erkannten, dass die Buben nicht so schnell aufgeben würden und konnten so in die moralische Pflicht genommen werden, die Trams als nostalgische Sonderfahrten weiter in Betrieb zu halten.
Trotzdem hielt sich das Interesse der Bevölkerung in Grenzen, als die Fahrzeuge im Sommer 1973 schliesslich an einigen Sonntagen während der Sommerferien wieder Kurs Richtung Zoo aufnahmen. «Die VBZ haben zwar den Auftrag erfüllt und liessen das Tram zum Zoo fahren. Aber unter uns gesagt, das Personal war nicht wirklich motiviert, weiter den Kondukteurdienst machen zu müssen. So ein Angebot, im Folgejahr nach seiner Aufhebung, war einfach zu früh», meint rückblickend Bergmaier. Man kam über punktuelle Einsätze nicht hinaus, etwa in Zusammenarbeit mit Zürich Tourismus, «wo man auf Anregung eines gewissen 15-jährigen anklopfte und vorschlug, das Fahrzeug für Stadtrundfahrten zu benützen», meint der Zürcher verschmitzt.
Es geht bergauf fürs Sächsitram – zum Zoo
Anfang der 80er kam neuer Schwung in die Angelegenheit – ohne Bergmaier allerdings. Dieser konzentrierte sich gerade auf seine Dissertation zum Thema «Qualität der öffentlichen Verkehrserschliessung im Kanton Zürich unter besonderer Berücksichtigung des Arbeitspendlerverkehrs» – was insofern erwähnenswert ist, als er eigentlich Naturwissenschaften studiert, aber seine Passion, den ÖV, zum Beruf gemacht hatte. Jedenfalls, knapp ein Monat nach Vereinsgründung der «Aktion Pro Sächsitram» im Februar 1983 fand man mit dem damaligen VBZ-Direktor Rolf A. Künzle ein Übereinkommen, welches regelmässige Fahrten zum Zoo ermöglichte, an verschiedenen Sonntagen im Frühling und Herbst.
Das Angebot, das so heute noch immer besteht, ist ein «i-Tüpfelchen», wie Bergmaier betont: «Die Leute kommen nicht wegen des Sächsitrams, sie wollen prioritär zum Zoo. Das Tram ist dabei etwas Unerwartetes, eine freudige Überraschung». Dies gilt auch für das zweite Standbein, die Adventsfahrten. Das Publikum, verrät er, seien aufgeräumte Adventsbesucher, die das Tram als zusätzliche emotionale Erlebnisschlaufe sähen: «Ist das aber herzig!», höre man dann die mit Päckli beladenen Fahrgäste rufen.
Dieses «Mittendrin sein», das sinnliche Erlebnis unterscheidet denn auch die «Aktion Pro Sächsitram», der Bergmaier heute als übergeordneter Projektleiter – oder, wie er sagt, als «Spiritus rector» – beiwohnt, vom Tram-Museum, bei welchem er im Stiftungsrat Einsitz nimmt. Die «Aktion Pro Sächsitram» (mit unterdessen rund 230 Mitgliedern, davon rund 15 Prozent Frauen) stellt keine Fahrzeuge aus, sondern erweckt sie zum Leben, indem physisch mitgefahren werden kann. Unter den Fittichen der «Aktion Pro Sächsitram» befindet sich vor allem der Patenzug mit dem Motorwagen 1019 und Anhängewagen 629.
Die Freude der Menschen als Lohn und ein Goldvreneli in die Vereinskasse
Das Schöne daran, beschreibt Bergmeier lebhaft, sei die Freude der Menschen: «Auch die Erwachsenen strahlen wie kleine Kinder unter dem Weihnachtsbaum» (oder möglicherweise so wie er selbst in diesem Augenblick…). Die Senioren («Wir sind schon früher mit diesem Tram gefahren!») ebenso wie die Jungen («Da hat’s ja sogar einen Kondukteur!»). Dann werde er gefragt: «Kann man da mitfahren? Ja WÜRKLICH, man kann da mitfahren?? Braucht es ein Billett?».
Um die Frage gleich zu beantworten: es braucht das normale ZVV-Billett der Zone 110. Alle, die möchten, können einen Obolus spenden, der für die Revision der Fahrzeuge verwendet wird. Überhaupt ist Geld nicht der Antrieb, weder jenes der freiwillig tätigen Vereinsmitglieder noch jenes von Bergmaier. Er sehe sich als eine Art Tom Sawyer, der das Streichen eines Gartenzauns geschickt als Attraktion verkauft. Das sei sein Lebensprinzip. «Auch ich möchte den Leuten ein Erlebnis bieten. Ich war nie ein Moneymaker, ich bin ein Idealist. Wenn die Leute aber etwas sinnlich erfahren können, dann haben sie oft auch einen Batzen übrig für etwas Ideelles.» Einmal habe sich sogar ein Goldvreneli in der Spendenkasse gefunden.
Auch die Wagenführer, hauptberuflich ganz normale Trampiloten mit einer Zusatzausbildung für Oldtimer, sind Freiwillige, die in ihrer Freizeit in eine vergangene Welt eintauchen. Pensionierte dürfen bis zum 70. Altersjahr mitmachen, sofern sie pro Jahr eine gewisse Anzahl Stunden fahren. Der Verein sucht auch immer wieder interessierte Tram- und Busfahrer. Projektleiter Bergmaier, der nicht nur Geburtshilfe bei der Bahn 2000 leistete, sondern auch beim Aufbau des ZVV-Angebots und an zahlreichen ÖV-Projekten in Australien (wo er während zehn Jahren gar lebte), China, Indonesien, Südafrika, Brasilien, Chile und Europa mitgearbeitet hat und sechs Sprachen spricht, hat sich daselbst zum Kondukteur ausbilden lassen. Er steht mindestens einmal pro Jahr auf dem Trittbritt des Sächsitrams. «Einmal habe ich gehört, wie sich zwei Herren in «Rumantsch» unterhalten haben. Da habe ich mit einer Selbstverständlichkeit alle Haltestellen auf romanisch angesagt. Die beiden war vielleicht überrascht! Sie haben dann zwanzig Franken ins Kässeli gelegt.»
Seit er in die Heimat zurückgekehrt ist, hat sich der Verkehrsexperte vor allem um den Nachwuchs gekümmert: Als Lehrbeauftragter an der ZHAW unterrichtete er angehende Verkehrsplaner. Seit kurzem befindet er sich wieder in einem Anstellungsverhältnis beim Kanton Zürich, und das, obwohl er sich unterdessen eigentlich zurücklehnen könnte. Aber schliesslich ist der ÖV sein Hobby – und das Sächsitram ein Aspekt davon, der ihn schon sein Leben lang begleitet. Und jetzt wird erst mal ordentlich gefeiert!
Zum Jubiläum 50 Jahre «Aktion Pro Sächsitram»
Während eines ganzen Wochenende vom 21./22. Mai 2022 feiern die VBZ und der Verein «Aktion Pro Sächsitram» unter dem Motto «Nostalgische Zeitreise» mit Fahrten zum Festgelände beim Zoo.Zur Website der «Aktion Pro Sächsitram»Zur Veranstaltungs-Website der VBZZur Website des Jubiläums «175 Jahre Schweizer Bahnen»