Eine Haltestelle ist mehr als nur eine Wartehalle

Smart und visionär sollen sie sein, die VBZ-Haltestellen. Nur was verbirgt sich hinter diesem Anspruch? Johanna Gerdes und Martin Suter, zwei junge VBZ-Projektleitende, stehen Rede und Antwort.

Synonyme für smart sind: ausgefuchst, clever, raffiniert oder klug. Was macht Haltestellen für euch smart?

Martin Suter: Für uns ist die Smarte Haltestelle etwas Dynamisches, denn sie kann sich in verschiedene Richtungen weiterentwickeln. Uns geht es also darum, die heute vorwiegend analoge Haltestelle mit digitalen Möglichkeiten zu erweitern und das Kundenerlebnis zu verbessern.

Das heisst konkret für die Smarte Haltestelle?

Martin Suter: Zuerst haben wir gedacht, dass wir die ganze Smarte Haltestelle komplett mit allen Modulen als Prototyp bauen. Aber das geht nicht. Sie ist kein fix fertiges Produkt, sondern ein Dach für verschiedene innovative Pilotprojekte, unter dem technologische Entwicklungen und Möglichkeiten getestet und ausgelotet werden.

Johanna Gerdes und Martin Suter entwickeln innovative Ideen für die Smarte Haltestelle.

Woher kommen die Ideen?

Johanna Gerdes: Ganz sicher nicht aus dem stillen Kämmerlein, denn wir sind keine Zauberlehrlinge. Im Entwicklungsprozess für neue Lösungen, Services und Produkte verfolgen wir den Ansatz «Design thinking». Dabei arbeiten wir in interdisziplinären Teams zusammen und entwickeln gemeinsame Fragestellungen. Ein Teil unserer Arbeit ist, dass wir die verschiedenen Bedürfnisse unserer Fahrgäste wie Pünktlichkeit, aber auch aktuelle Themen wie Nachhaltigkeit aufnehmen und überlegen, was wir tun können, diese zu erfüllen. Welche Idee umgesetzt wird, ist zu Beginn offen und einige mussten wir auch schon begraben.

Wie erfahrt ihr, was unsere Kundinnen und Kunden in Bezug auf Haltestellen wünschen?

Johanna Gerdes: Für das Projekt Smarte Haltestelle gab es zu Beginn qualitative und quantitative Umfragen. Im Rahmen des Digital Festivals  führten die VBZ zum Beispiel Workshops (Labs) durch und erhielten von den Teilnehmenden Feedback zu bisherigen Ideen sowie Input für neue. Die Auswertungen zeigen, was sich unsere Fahrgäste wünschen oder vorstellen könnten.

Worin unterscheidet sich die Haltestelle von heute von der Haltestelle von morgen?

Johanna Gerdes: Die Haltestelle von morgen wird den Kundinnen und Kunden mehr Interaktion bieten, und die Digitalisierung kann dabei helfen. Zum Beispiel, um Verspätungen rasch zu kommunizieren und entsprechenden Fahrtalternativen zu zeigen. Oder bei der Entwicklung besserer Angebote, damit alle Menschen barrierefrei unterwegs sein können.

Martin Suter: Was die Haltestellen betrifft, gibt es nicht nur Unterschiede. Die Grundbedürfnisse wie Sauberkeit, Sicherheit, Wetterschutz waren und sind zentral und bleiben gleich. Schon immer ist eine Haltestelle der erste Empfang der Fahrgäste, quasi die Rezeption, ähnlich wie diejenige in einem Hotel und deshalb so wichtig.

Bereits 2018 nahmen die VBZ das Thema Smarte Haltestellen auf und testeten gemeinsam mit Partnern das WLAN an ausgewählten Haltestellen. Nun wird LED-Beleuchtung mit Sensorik eingesetzt. Was testet ihr hier genau, denn LED ist doch nicht neu?

Martin Suter: Stimmt. Ins neue Jahr sind wir innovativ mit zwei Pilotprojekten gestartet. In einem der beiden evaluieren wir an ausgewählten Haltestellen den Einsatz der LED-Beleuchtung im Vergleich zu den bisherigen Leuchtstoffröhren. Aber wir testen nicht nur die LED-Beleuchtung: Die Haltestellen sind mit Sensoren ausgestattet. So wird mit einem zusätzlich eingebauten Bewegungs-Sensor die Helligkeit verringert, wenn sich niemand an der Haltestelle befindet, die Helligkeit also situationsspezifisch reguliert. Das spart Strom, reduziert Lichtemissionen in der Stadt und ist somit auch umweltfreundlich.

Zudem testen wir einen Akustik-Sensor, der auf Geräuschfrequenzen von Spraydosen reagiert. Schüttelt jemand die Dose oder sprayt, wird ein blinkender Lichtmodus aktiviert. Wir hoffen, dass damit unerwünschtes Verhalten wie Vandalismus reduziert werden kann. Die Pilotphase dauert bis Mitte 2020 und wir nutzen sie, um unsere Annahmen zu überprüfen.

Ein weiteres Pilotprojekt ist die Evaluation verschiedener e-Paper-Geräte. Was ist das Ziel?

Johanna Gerdes: Eine rasche und verlässliche Fahrgastinformation, zum Beispiel bei Verspätungen und Störungen, ist für unsere Fahrgäste sehr wichtig. Und wie sie verbessert werden kann, beschäftigen die VBZ ganz intensiv. Nun haben wir zehn Haltestellen mit e-Paper-Geräten in unterschiedlichen Grössen und von verschiedenen Herstellern ausgestattet, um das am besten geeignete herauszufinden. Wir testen sie ergänzend zu den bereits bestehenden digitalen Anzeigetafeln überwiegend an Haltestellen, die bisher noch über keine Echtzeitinformationen verfügen.

Was müssen die e-Paper-Geräte mitbringen?

Johanna Gerdes: Gefragt sind vor allem Echtzeitangaben und gut lesbare Informationen im Störungsfall. Die Schriftgrösse muss passen, der Kontrast bei Helligkeit hoch sein. Ein grosser Vorteil für unsere Fahrgäste mit Seheinschränkungen ist eine deutliche Vorlesefunktion (Text-to-Speech). Das haben wir bereits im Vorfeld im Austausch mit Behindertenverbänden erfahren. Weitere Informationen wie nächste Abfahrten oder den Liniennetzplan liefert eines der Geräte zudem per Klick.

Was geschieht nach der Pilotphase?

Martin Suter: Die Pilotphase dauert ein Jahr. So erhalten wir möglichst validierbare Daten über das Verhalten der Geräte in Hinblick auf Temperaturschwankungen und Jahreszeiten. Wie es nach der Pilotphase weitergeht, ist offen. Kann den Fahrgästen ein klarer Mehrwert geboten werden und ist das Vorhaben wirtschaftlich, so sind bereits zwei Kriterien für die Fortsetzung eines Pilotprojektes erfüllt. Die Kundenreaktionen sind also essentieller Bestandteil der Evaluation.

Wie weit sind andere europäische Städte mit der Entwicklung von Smarte Haltestellen?

Johanna Gerdes: Natürlich unternehmen auch andere Verkehrsbetriebe Anstrengungen auf diesem Gebiet. E-Paper sind zum Beispiel bei einigen Verkehrsbetrieben im In- und Ausland bereits im Einsatz. Die Smarte Haltestelle quasi als Gesamtpaket oder Serienprodukt gibt es jedoch nicht. Der grosse Unterschied zu anderen ist: Wir setzen die schönen und innovativen Ideen bereits jetzt ganz praktisch an der Haltestelle um.

Martin Suter: Und hier führt der Weg zum Ziel über erste Pilotprojekte in interdisziplinären Teams mit Vertretern der öffentlichen Hand und Technologieunternehmen aus der Privatwirtschaft – ganz nach dem Smart-City-Gedanken. So besteht die grosse Chance, ökologische, innovative und effiziente Lösungen zu entwickeln. Die VBZ als grösstes Nahverkehrsunternehmen in der Schweiz möchten diese Entwicklung mitgestalten und prägen.

Johanna Gerdes ist bei den VBZ im Unternehmensbereich Markt als Fachleiterin Fahrplangestaltung tätig, Martin Suter als Leiter Haltestellenmanagement im Unternehmensbereich Infrastruktur.

Smarte VBZ-Haltestellen

Mehr als 600 VBZ-Haltestellen bilden den ersten Empfangspunkt für unsere Fahrgäste. Wegen ihrer flächendeckenden Verbreitung, der informationsintensiven Ausstattung und dem regen Kontakt mit unseren Kundinnen und Kunden sind sie prädestiniert für den Einsatz moderner, nachhaltiger und innovativer Informationstechnologien. Als konkrete Testumgebung werden in der Regel die Haltestellen innerhalb des Smarten Korridors (Albisriederplatz bis Escher-Wyss-Platz) genutzt.Weitere Informationen finden Sie hier.

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