Monika Voser war eine der sechs ersten Frauen, die in Zürich ein Tram steuerten. Was heute selbstverständlich ist, sorgte seinerzeit für Furore. Die Pionierin unter den «Frauen am Steuer» erinnert sich.
Monika Voser ist nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen, das ist ihr deutlich anzusehen. Es liegt auch gewiss nicht daran, dass sie unlängst, nämlich im Oktober 2017, in Pension ging. Nachdem sie das heutige Gesicht der VBZ über Jahrzehnte mitprägte, die Frau, die anno 1979 den Schneid aufbrachte, sich auf ein Inserat zu melden. Gesucht wurden darin Wagenführerinnen, wie der Beruf damals noch hiess, und zwar «explizit Frauen», wie sie sich heute erinnert.
Zu jener Zeit ging sie einem kreativen Job nach, sie arbeitete nämlich als Fotolaborantin. Ein Beruf, der sich – leider, oder zum Glück für die VBZ – schon kurz nach Lehrabschluss als eher brotlos entpuppte. Den Stein für ihren Berufswechsel brachte ihr Vater ins Rollen, der einst ebenfalls als Kondukteur seine Brötchen bei den VBZ verdient hatte. Er war es nämlich, der ihr das Inserat auf den Tisch legte, dank dem sie nicht viel später zusammen mit fünf anderen Mitstreiterinnen den Führerstand von Kurbeli, Karpfen, Mirage und Tram 2000 eroberte. Die Damen, die sich gegen 110 Mitbewerberinnen durchgesetzt hatten, brachten auch vom beruflichen Hintergrund her Farbe ins Spiel: «Eine von uns kam aus dem Kaufmännischen, eine Krankenschwester war auch dabei», blickt die 64-jährige zurück. Voraussetzung war nämlich eine abgeschlossene Ausbildung, welcher Art auch immer, «und eine gewisse Intelligenz», schmunzelt Voser. Die Balance wahrten sechs Männer, die gleichzeitig mit den jungen Frauen die Ausbildung im Depot Kalkbreite begannen.
Das Umdenken sorgt für rote Köpfe
Erst nach Ausbildungsantritt erfuhr die 24-jährige, dass hitzige Diskussionen zwischen den Gewerkschaften und der Personalabteilung stattgefunden hatten. Immerhin hatte man gerade mal acht Jahre zuvor den Frauen ihr Stimmrecht zugestanden, und nun das! «Die Befürchtung war, dass wir den Lohn drücken, auch die WCs waren ein Diskussionsthema», lässt die ehemalige Trampilotin durchblicken, «aber ich denke, manche haben es uns schlicht nicht zugetraut.» Der Auslöser für das fortschrittliche Bekenntnis der VBZ-Führungsriege zur Gleichberechtigung war eine Verordnung des damaligen Zürcher Stadtrats Jürg Kaufmann. Eventuell wollte man den Winterthurern nicht zu weit hinterherhinken, diese beschäftigten nämlich schon anno 1972 Buschauffeurinnen, auch Genf war schneller als Zürich. Anders als die Basler, bei denen sich der Sinneswandel erst 1987 vollzog und dort auch damals noch als «Tabubruch» galt.
Die weibliche Präsenz im Führerstand sorgte aber auch unter den Kollegen für rote Köpfe, wenngleich nur «eine Minderheit, eher die ältere Generation mit Abwehr reagierte – die meisten Kameraden waren sehr hilfsbereit», wie die VBZlerin versöhnlich betont. Ihr Anliegen, fair zu bleiben, ist deutlich spürbar: Hier spricht eine Frau, die sich gut zu behaupten weiss in einer von Männern dominierten Umgebung. «Alles, was damals gelaufen ist, muss man natürlich im Kontext der Zeit betrachten, das war erst mal ein Schock», kommentiert sie liberal. Und trotzdem, manche hätten die Trampionierinnen schon auch geplagt: Indem «mann» den Händedruck zur Begrüssung verweigerte etwa, wie Voser lapidar berichtet. Einigen brannten ob des «Affronts» die Sicherungen derart durch, dass sie selbige gar herausschraubten, im Tram, das einer Frau zum Dienst zugeteilt war.
Auch die Bevölkerung ist gespalten
«Zum Glück gab es damals noch keine sozialen Medien», bricht es heiter aus ihr heraus, «das wäre eine Katastrophe gewesen.» Die starke Frau im Führerstand berührte nämlich auch unter den Fahrgästen so manch männliches Ego unangenehm. Falls man überhaupt von «Fahrgästen» sprechen kann, so sie ja gar nicht einsteigen, weil das schreckgeweitete Auge die Frau am Steuer erblickt. Leserbriefe wurden geschrieben, manche liessen abfällige Bemerkungen fallen. Ein älterer Herr, erinnert sie sich, habe beim Aussteigen gesagt: «Das nächste Mal zeige ich Ihnen, was sie besser machen können.» Am besten sei es, auf so freche, despektierliche Kommentare, gar nicht zu antworten. Die Wortwahl der Pensionärin lässt erstmals auch den einstigen Ärger hinter der Gelassenheit durchschimmern, aber: «Natürlich gab es auch viele, die sich freuten und uns gratulierten – vor allem Frauen, aber natürlich auch Männer.»
Ohnehin wirkt die Frau, die heute auf diese Zeit zurückblickt, nicht wie eine, die sich schnell ins Bockshorn jagen lässt. Im Gegenteil. Schon zwei Jahre später nahm sie die nächste Hürde und die Ausbildung zur Busschauffeurin in Angriff. «Dabei hatte sich die ganze Skepsis eben erst allmählich gelegt», grinst sie. Zu dritt hätten sie die Prüfung abgelegt, erzählt sie, zwei Frauen und ein Mann. «Alle warteten darauf, dass die Frauen durchfallen, und wer ist schlussendlich durchgefallen? Der Mann!» Sie lacht hell auf, betont dann aber schnell: «Er war ‹en Liebe›, ich hab ihm den Misserfolg nicht gegönnt».
Der Schichtdienst stellt das ganze Leben auf den Kopf
Die wahre Herausforderung seien aber schlussendlich nicht die Animositäten der damaligen Zeitgenossen gewesen, sondern der Schichtdienst. «Das hat mein Leben komplett auf den Kopf gestellt. Mit einer Arbeit, die dann stattfindet, wenn die anderen frei haben, steht man oft alleine da, und natürlich kann man sich auch nicht in einem Verein mit fixen Zeiten engagieren.» Schwierig für die seinerzeit junge Frau, die – wie sie sagt – eigentlich gerne in den Tag hineinlebt und nimmt, was kommt. Was natürlich mit einem strikten Dienstplan nicht möglich ist. Sie musste sich disziplinieren, «man kann sich nicht vorstellen, wie das ist, wenn man das Inserat liest – man ist halt fremdbestimmt.» Dafür wurde sie aber auch belohnt: «Das Schönste ist, die Stadt zu allen Tages- und Jahreszeiten zu erleben, bei Sonne, Regen, Sturm,», sinniert sie verträumt, «oder damals im Jahr ’86 oder ’87, als es so viel Schnee gab… das war herrlich.» Freilich ergaben sich auch rasch Kameradschaften unter den Arbeitskollegen, die sechs Frauen beispielsweise hätten sich regelmässig für gemeinsame Aktivitäten, etwa zum Wandern, Kegeln, aber auch zum Lernen getroffen. Ausserdem, bemerkt sie lakonisch, könne sie sich auch gut alleine beschäftigen.
Der harte Weg zur Instruktorin
Zehn Jahre lang blieb sie im Fahrdienst. Ihr Ziel war aber, ihr Wissen und ihre Erfahrung weiterzugeben; sie wollte Instruktorin werden. Dass auch das nicht nur mit Begeisterung aufgenommen worden sei, erwähnt sie mit einem Schulterzucken – der Job sei sehr begehrt, auch weil da der Schichtdienst wegfalle. Und so hatte sie die Ausbildung im 1987 begonnen. Das Konzept sei gewesen, alle Fahrzeuge bedienen zu können; auch Busse. Dazu benötigte sie aber die Fahrlehrerausbildung – «das war das Härteste», lacht sie. Die taffe Frau hat es durchgezogen und schliesslich, mit 47, die Ausbildung für Personen- und, anno 2004, für Lastwagen absolviert – «mit Anhänger, das war furchtbar», stöhnt sie, um dann aber dennoch ins Schwärmen zu geraten: «Es ist ein erhebendes Gefühl, schwere Maschinen zu bedienen, Schub zu geben.» Und, im Hinblick auf ihre Arbeit als Ausbildnerin, natürlich auch die Entwicklung der Menschen zu beobachten, sie mitzuprägen, die eigene Meinung und den eigenen Stil der Auszubildenden zu fördern. «Manch eine, auf den ersten Blick zierliche Frau hat sich mitunter als besonders talentiert erwiesen, vor allem jene, die dem Reitsport nachgehen», erzählt sie amüsiert, «die Rösselerfrauen haben ihr Tram im Griff.»
Eine liebevolle Identifikation mit dem ÖV
38 Jahre unterwegs in der Stadt – was hat sich verändert? «Früher waren die Menschen kommunikativer, heute sind ja die meisten mit ihren Endgeräten beschäftigt.» Und natürlich sei der ÖV damals noch nicht so bevorzugt gewesen, «da stand man mitten im Puff.» Trotzdem sei der Kampf um die Verkehrsfläche immer noch spürbar, und es scheine, als genössen Autos trotz allem nach wie vor die höchste Priorität, «eigentlich unbegreifbar, wo wir doch so einen gut ausgebauten, tollen ÖV haben.» Ja, sie habe sich immer mit den VBZ verbunden gefühlt, denn: «Ich bin dankbar, dass ich als Stadtzürcherin auf diese Weise Teil der Stadt sein durfte.»
Frauen nach vorn!
Bei den VBZ gehören Frauen ganz nach vorne. Dennoch ist nach wie vor nur eine von fünf Mitarbeitenden im Führerstand eine Trampilotin. Das wollen wir ändern und setzen deshalb auf Frauenpower. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.